In einem Interview beschreibt Prof Dr. Stefan Zimmer, Leiter der Fortbildungsreihe, die Bedeutung und Inhalte des Curriculums Kinderzahnmedizin im kommenden Jahrgang.
Herr Prof. Zimmer, seit wann haben Sie die wissenschaftliche Leitung des CurriculumsKinderzahnmedizin der Haranni Academie inne und was waren seinerzeit die Beweggründe, ein eigenes Curriculum zu diesem Thema aufzusetzen?
Prof. Dr. Stefan Zimmer: Das erste Curriculum fand 2009 zu einem Zeitpunkt statt, als es noch längst nicht so viele Praxen wie heute gab, in denen die Kinderzahnmedizin als Schwerpunkt angeboten wurde. Der Begriff „Beweggrund“ trifft es also schon gut. Ich sah mit der Etablierung eines Kinderzahnmedizin-Curriculums die Chance, etwas zu bewegen, und zwar auf einem Gebiet, auf dem es noch viel zu bewegen gab. Beim Thema Kinderzahnmedizin hat mich besonders gereizt, dass es hier um ein Lebensalter geht, in dem entscheidende Grundlagen für das ganze Leben gelegt werden. Das betrifft die Mundgesundheit, aber auch das künftige Verhältnis zu Zahnärztinnen und Zahnärzten.
Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 15 Prozent der Bevölkerung eine pathologische Zahnarztangst haben. Wie oft habe ich schon von längst Erwachsenen gehört, dass sie seit ihrer frühen Kindheit Angst vorm Gang in die Zahnarztpraxis haben und das nicht mehr loswerden können. Prävention, frühe Diagnostik und Therapie sowie empathisches und auf die Psyche des Kindes abgestimmtes Verhalten sind die Grundpfeiler einer Kinderzahnmedizin, die ein mundgesundes Aufwachsen und die Vermeidung einer oft lebenslangen bestehenden Zahnarztangst ermöglichen. Das erfordert eine Menge Know-how, das aufgrund der vollen Stundenpläne während des Zahnmedizinstudiums an den Universitäten oft nicht in ausreichendem Maße vermittelt werden kann. Deshalb brauchen wir postgraduale Qualifizierungsmöglichkeiten wie unser Curriculum.
Lassen Sie mich noch ein paar Fakten zur Mundgesundheit bei den Kleinsten nennen, die mich anspornen. In Deutschland hat sich die Zahngesundheit bei 12-Jährigen seit Beginn der 1990-er Jahre in einem damals nicht für möglich gehaltenen Umfang verbessert. Die Anzahl an Karies erkrankter Zähne lag im statistischen Mittel bei etwa 4. Heute liegt sie bei 0,44. Das ist ein Rückgang um 90 Prozent, womit wir international Spitze sind. Das betrifft die bleibenden Zähne. Im Milchgebiss bei den 5- bis 6-Jährigen Kindern sieht es leider nicht so gut aus.
Der Kariesrückgang liegt hier in den letzten 20 Jahren nur bei 28 Prozent und die Anzahl der an Karies erkrankten Zähne bei 1,73. Jedes Vorschulkind hat also im statistischen Durchschnitt fast zwei behandlungsbedürftig an Karies erkrankte Milchzähne. Das halte ich für nicht akzeptabel und international stehen wir damit nicht gut da. Die Gründe dafür sind vielfältig und es wurde einiges unternommen, sie abzustellen. Ein Grund ist aber sicher auch die immer noch mangelnde Spezialisierung auf Kinderzahnmedizin in den Praxen.
Was sind die Schwerpunkte des Curriculums?
Zimmer: Das Curriculum Kinderzahnmedizin an der Haranni Academie ist ja nicht das einzige seiner Art in Deutschland. Aber es sollte ein besonderes Profil haben. Zwei Elemente waren mir damals wichtig. Erstens sollte es ein Curriculum vor allem für junge Zahnärzte und Zahnärztinnen sein, die mit der Kinderzahnmedizin noch nicht viel Erfahrung gesammelt haben. Zweitens sollte es auch einen Kolleg:innenkreis ansprechen, der nicht die Absicht hat, eine reine Kinderzahnarztpraxis zu betreiben, sondern auch Kinder in einer Familienpraxis behandeln möchte. Da der Unterricht in Kinderzahnmedizin während des Studiums in Deutschland sehr inhomogen ist – es gibt einige wenige Unis mit eigenen Abteilungen für Kinderzahnmedizin und andere, in denen sich gar niemand dafür zuständig fühlt –, dürfen wir einerseits nicht zu viel voraussetzen, müssen aber andererseits bei der Vermittlung der Grundlagen, wie zum Beispiel der Prävention, auch für diejenigen, die bereits einen hohen Ausbildungsstand haben, einen Mehrwert generieren. Auch sie sollen ja von dem Curriculum profitieren.
Das ist eine sportliche Herausforderung. Die Integration der Kinderzahnmedizin in eine Familienpraxis erfordert neben der Vermittlung von Wissen und Können auch ein organisatorisches Konzept, wie ich das umsetzen kann. Beides versuchen wir in dem Curriculum zu realisieren. Da es das Curriculum nun schon dreizehn Jahre gibt und die Nachfrage ungebrochen ist, glaube ich, dass uns das ganz gut gelingt.
Welches Modul betreuen Sie selbst?
Zimmer: Ich bezeichne mich selbst gerne als Präventivzahnmediziner. Daher liegt es auf der Hand, dass ich im Curriculum neben der Gesamtverantwortung vor allem für die Prävention zuständig bin. Da die Prävention aus meiner Sicht die Basis für jedes zahnmedizinische Handeln sein muss, weil sie die einzige kausale Maßnahme in unserem Fach ist, steht dieses Modul auch am Anfang des Curriculums.
Was sind die Schwierigkeiten bei der Behandlung von Kindern? Wo liegen aber auch die großen Chancen?
Zimmer: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie handeln nicht rational, sondern emotional. Man kann von ihnen nicht die Einsicht verlangen, dass eine anstehende unangenehme Behandlung die einzige Option ist, die nun durchgestanden werden muss. Kinder denken immer, dass sie irgendwie um eine sie belastende Situation herumkommen können, vielleicht durch Zauber, auf jeden Fall einfacher. Und allein schon die Chance, eine Behandlung aufzuschieben, ist für sie verlockend, weil sie dann ihren zeitlichen Horizont verlässt.
Kinder sind außerdem viel verletzlicher, ein einziger kurzer Schmerz kann schon dazu führen, dass keine weitere Behandlung mehr möglich ist. Und natürlich haben Kinder nicht viel Geduld, deshalb müssen Behandlungen kurzgehalten werden. Wenn es keine anderen Gründe gäbe, wären allein diese Fakten für mich schon ausreichend, gerade bei Kindern vor allem auf die Prävention zu setzen. Dann kann man sich all diese Probleme zum größten Teil ersparen, abgesehen von angeborenen Zahnschäden und Traumata natürlich. Die Chancen erfolgreicher Kinderbehandlung habe ich bereits genannt: Für das Kind ist es das gesunde Aufwachsen und für beide Partner, Kind und Zahnärztin beziehungsweise Zahnarzt, die Chance einer lebenslangen angstfreien Beziehung.
Worauf dürfen sich die Teilnehmenden des im Januar 2023 neu startenden Curriculums freuen?
Zimmer: Natürlich vor allem auf die tollen Referentinnen und Referenten. Ich bin stolz darauf, sie alle für das Curriculum gewonnen zu haben. Sie sind allesamt sehr erfahren und bilden eine exzellente Mischung aus Praxis und Universität, wobei man nicht denken sollte, dass Praktiker und Praktikerinnen sich nicht mit Wissenschaft und Universitätsangehörige nicht mit der Praxis auskennen. Beste Beispiele sind Professor Krämer und Professor Kühnisch, die beide auf dem Gebiet der Kinderzahnmedizin sehr renommierte Wissenschaftler, aber gleichzeitig auch sehr erfahrene Behandler sind. Oder Frau Doktor Singh-Hüsgen, die sowohl als Oberärztin für Kinderzahnmeidzin an der Uni tätig ist und gleichzeitig eine kinderzahnmedizinische Abteilung in einer großen Praxis leitet. Ausgewiesene Speizialist:innen sind natürlich auch alle anderen Dozierenden, die Sie kennen lernen werden: Der Parodontologe Prof. Friedmann, die Kieferorthopädin Doktor Petra Hinz, die Kinderzahnärztin Doktor Steffi Ladewig und die Anästhesist:innen Doktor Arns und Doktor Mathers. Und natürlich werden Sie auch mich kennenlernen. Ich freue mich schon darauf!
Das vollständige Programm finden Sie unter Haranni Academie Kinderzahnmedizin