Mädchen schaut in die Kamera

Neue Studie zu Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern

Zahn- und Kieferfehlstellungen gehören neben Karies und Parodontalerkrankungen zu den häufigsten Gesundheitsbeeinträchtigungen der Mundhöhle. Die Studie „Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern“ ist das erste Modul der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie mit der die Mundgesundheit zufällig ausgewählter Personen in ganz Deutschland systematisch analysiert wird.

Etwa 40 % der 8- und 9-jährigen Kinder in Deutschland weisen einen kieferorthopädischen Behandlungsbedarf auf, der nach den Richtlinien der vertragszahnärztlichen Versorgung therapiert werden sollte. Ein Vergleich mit entsprechenden Abrechnungsdaten unterstreicht zudem, dass sich dieser Behandlungsbedarf weitgehend mit der Versorgungsrealität deckt und es somit in diesem Bereich keine Unter- oder Überversorgung gibt.

Diese und zahlreiche weitere Ergebnisse zeigt das Forschungsprojekt „Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern“, das am 23. September d. J. in Berlin gemeinsam durch das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) erstmals öffentlich vorgestellt wurde. Zahnfehlstellungen und Kieferanomalien bei Kindern waren in diesem Umfang seit mehr als 30 Jahren nicht mehr flächendeckend ermittelt worden.

DMS6

Methodik und Studienziele

Die letzte systematische Erfassung von Zahn- und Kieferfehlstellungen in Deutschland stammt aus dem Jahre 1989. Weil diese Fehlentwicklungen jedoch neben Karies und Parodontalerkrankungen zu den häufigsten Gesundheitsbeeinträchtigungen der Mundhöhle gehören, wurden sie wieder in das Untersuchungsprogramm der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie aufgenommen. „Wir haben uns dabei auf 8- und 9-jährige Kinder konzentriert, weil danach besonders schwere Erkrankungsformen bereits im Rahmen einer sogenannten Frühbehandlung therapiert werden und dann der ursprüngliche Gebisszustand für epidemiologische Untersuchungen nicht mehr zugänglich ist“, betonte Prof. Dr. Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Leiter des IDZ. Die Studie wurde gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie entwickelt und von der DGKFO finanziert. Die Untersuchungen fanden nach internationalen Standards der Oralepidemiologie statt.

Repräsentativ für Deutschland

Es war das primäre Ziel dieser Studie, die Verbreitung von Zahn- und Kieferfehlstellungen bei 8- und 9-jährigen Kindern in Deutschland zu erfassen – und das sekundäre Ziel, daraus den kieferorthopädischen Versorgungsbedarf abzuleiten. Daneben wurden weitere Fragestellungen beantwortet, wie:

  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen Karies und Zahn- und Kieferfehlstellungen?
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen Zahn- und Kieferfehlstellungen und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität?

Damit die Ergebnisse stellvertretend für diese Altersgruppe gelten können, wurde ein mehrstufiges Zufalls-Auswahlverfahren durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden als Studienzentren je Bundesland eine Stadt-, Großstadt- oder Landregion ausgelost. Über die Einwohnermeldeämter dieser 16 Studienzentren wurden anschließend etwa 2.000 Kinder zur Teilnahme an der Studie angeschrieben. Die Untersuchungen wurden von speziell dafür geschulten Zahnärzten durchgeführt, die insgesamt 705 Kinder wissenschaftlich untersucht haben. Die Zahlen sind somit repräsentativ für Deutschland. Die Untersuchungen fanden von Januar bis März 2021 statt.

Wie bereits erwähnt, liegt der Anteil der Kinder, bei denen nach den Richtlinien der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine kieferorthopädische Behandlung angezeigt ist, bei 40,5 %. Prof. Jordan stellte folgende Einzelergebnisse vor:

  • 10,0 % der Kinder wiesen ausgeprägte Zahnfehlstellungen auf, die aus medizinischen Gründen eine Behandlung erforderlich machen.
  •  Ein Viertel der Kinder wies stark ausgeprägte Zahnfehlstellungen auf, die aus medizinischen Gründen dringend eine Behandlung erforderlich machen.
  •  5,0 % der Kinder wiesen extrem stark ausgeprägte Zahnfehlstellungen auf, die aus medizinischen Gründen unbedingt eine Behandlung erforderlich machen.
  •  Die kieferorthopädische Indikationsgruppe 2 bezeichnet per definitionem Zahnfehlstellungen geringerer Ausprägung, die aus medizinischen Gründen zwar eine Indikation für eine kieferorthopädische Korrektur darstellen, deren Kosten jedoch nicht von den Krankenkassen übernommen werden. 57,0 % der Kinder wiesen eine solche Indikationsgruppe auf.
  • 2,5 % der Kinder gehörten zur Indikationsgruppe 1 mit allein ästhetischen Einschränkungen oder wiesen keinen pathologischen Befund auf.
  • Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität

  • 9,4 % der Kinder gaben an, Schwierigkeiten beim Kauen von Nahrungsmitteln zu haben.

  • Schmerzen im Mundbereich hatten 10,9 % der Kinder.

  • Die Hälfte aller untersuchten Kinder wies keine Einschränkungen der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität auf.

Im Gruppenvergleich stellte sich heraus, dass Kinder, die in der Befragung angegeben hatten, Schwierigkeiten beim Kauen von Nahrungsmitteln zu haben, systematisch häufiger einen kieferorthopädischen Behandlungsbedarf aufwiesen. Bei Kindern mit Schmerzen im Mundbereich war der Behandlungsbedarf ebenfalls erhöht.

Insgesamt zeigte sich, dass eine eingeschränkte mundgesundheitsbezogene Lebensqualität mit einem erhöhten kieferorthopädischen Behandlungsbedarf assoziiert war.

Karies und KFO-Behandlungsbedarf

Kariesfreie Kinder hatten seltener einen kieferorthopädischen Behandlungsbedarf. Im Hinblick auf kariöse Zähne wurde festgestellt, dass Kinder mit kieferorthopädischem Behandlungsbedarf systematisch mehr bleibende Zähne mit einer Karies und tendenziell mehr kariöse Milchzähne aufwiesen. Gleichzeitig hatten Kinder ohne kieferorthopädischen Behandlungsbedarf systematisch mehr gesunde Zähne.

Die epidemiologischen Daten zeigen, so Prof. Jordan, dass bei 16,4 % der Kinder eine Indikation für eine sogenannte kieferorthopädische Frühbehandlung bestand. Aus den Abrechnungsdaten der KZBV für das Jahr 2020 geht hervor, dass der Anteil der tatsächlich durchgeführten Frühbehandlungsfälle in dieser Altersgruppe lediglich bei 7,8 % lag. Eine Frühbehandlung bei 8- und 9-jährigen Kindern in Deutschland findet also eher in geringerem Umfang statt als sich epidemiologisch darstellt. Tendenzen einer Überversorgung können in diesem Zusammenhang also nicht erkannt werden.

DGKFO: die Zukunft im Blick

Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Präsident der DGKFO, ging in seinem Statement zunächst auf die Auswertung der Daten des KFO-Moduls der DMS 6 und den theoretischen Behandlungsbedarf bei den untersuchten Kindern ein und betonte: „Ferner ist von einer Zunahme der Zahn- und Kieferfehlstellungen bis zum späten Wechselgebiss auszugehen. Zusätzlich ergaben die Analysen deutliche Hinweise auf den medizinisch-prophylaktischen Nutzen einer kieferorthopädischen Behandlung, der sich dann bei einer Folgeuntersuchung im Rahmen der DMS 7 weiter verifizieren lässt. Zusammen mit der 2021 veröffentlichten S3-Leitlinie ‚Ideale Behandlungszeitpunkte kieferorthopädischer Anomalien‘ ist die Feststellung früherer Berichte im Sinne einer mangelnden Evidenz für die Notwendigkeit oder Wirksamkeit kieferorthopädischer Maßnahmen nicht zu halten. Die DGKFO wird sich auch in den kommenden Jahren mit Nachdruck dafür einsetzen, die Qualitätsstandards und die Evidenzlage der kieferorthopädischen Versorgung in Deutschland weiter zum Wohl der Patientinnen und Patienten zu verbessern.“

KZBV: KFO bleibt essenzieller Bestandteil einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV, betonte u. a., dass die Frühbehandlung und der Vergleich mit weiteren Abrechnungsdaten belegen, dass es „anders als behauptet, in der kieferorthopädischen Versorgung keine Überversorgung gibt. Kinder mit einem kieferorthopädischen Behandlungsbedarf weisen einen deutlich höheren Anteil an kariösen

Zähnen auf als Kinder ohne kieferorthopädischen Behandlungsbedarf. Die Kieferorthopädie ist und bleibt daher essenzieller Bestandteil einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, die seit vielen Jahrzehnten ebenso konsequent wie erfolgreich von der Zahnärzteschaft umgesetzt wird. Dieser vorbildliche Versorgungsansatz führt zu nachhaltig rückläufigen Morbiditäten bei der Mund- und Allgemeingesundheit der Bevölkerung, zu weniger Folgeerkrankungen und letztendlich auch zu Kostenersparnis im Gesundheitswesen.“

BZÄK: Junge Erwachsene von Aligner-Shops umworben

Konstantin von Laffert, Vizepräsident der BZÄK, unterstrich: „Kieferorthopädie gehört in die Hände von Profis, denn hier wirken große Kräfte auf Zähne, die engmaschig zahnärztlich begleitet werden müssen. Das Fachgebiet der Kieferorthopädie ist ein Bestandteil der Zahnmedizin.“

Immerhin wiesen 57 % der 8- bis 9-jährigen Kinder zwar nach medizinischen Gesichtspunkten eine kieferorthopädische Behandlungsindikation auf, so von Laffert, die könne aber von der GKV nicht übernommen werden. „Diese Patientengruppe geht die Korrektur oft als junge Erwachsene an. „Aligner-Shops“ umwerben diese Zielgruppe: Patienten werden teilweise ohne ordentliche Befunde (Röntgenbild, Parodontal-, Kiefergelenkbefund, Implantatanalyse) und via Handyfoto selbst den Behandlungsfortschritt dokumentierend „behandelt“. Das kann zu großen zahnmedizinischen Problemen führen.“

Quellen: IDZ, DGKFO, KZBV, BZÄK