Onkologie-Patienten

Prätherapeutische Prävention bei Onkologie-Patienten (Teil 2)

Die orale Mukositis (OM) stellt eine der häufigsten oralen Nebenwirkungen dar. Für die Patienten bedeutet das oft eine zusätzliche Einschränkung der Lebensqualität.

Im ersten Teil dieses Beitrages wurden die Risiken der Strahlen- und Chemotherapie für die orale Gesundheit beschrieben (hier geht es zum Artikel).

Prätherapeutische zahnärztliche Maßnahmen können den Behandlungsweg von Patienten unter onkologischer Therapie positiv beeinflussen. Die Prophylaxefachkraft hat eine bedeutsame Rolle in der Aufklärung von Mundhygiene- und Fluoridierungsmaßnahmen. Ein weiteres Augenmerk sollte auf Risiken durch die (antiresorptive) Medikation dieser Patienten liegen, auf die hier näher eingegangen wird.

Bisphosphonate und Denosumab

Bisphosphonate und Denosumab gehören zu den Antiresorptiva. Das sind Medikamente, die den Knochenstoffwechsel beeinflussen. Sie können oral wie auch intravenös (i.v.) verabreicht werden. Eine mögliche Nebenwirkung sind Knochennekrosen im Kieferbereich. Die biologische Verfügbarkeit des Wirkstoffes bei der intravenösen Darreichungsform ist wesentlich höher, ebenso steigt das Risiko einer Kiefernekrose.

Es besteht ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Knochenaufbau durch Osteoblasten und einem Knochenabbau durch Osteoklasten. Bisphosphonate hemmen die Osteoklastenaktivität und zusätzlich auch die Gefäßneubildung im Knochen. Ziel der Therapie mit Antiresorptiva ist es, dass der Patient an Knochenmasse gewinnt. Dadurch können sich Metastasen von Tumoren schlechter im Knochen festsetzen oder die Wahrscheinlichkeit von Knochenbrüchen durch Osteoporose kann reduziert werden. Nachteilig für die knöcherne Regeneration ist allerdings, dass die Blutversorgung des Knochens geringer ist. Daher können intraorale Wunden, bei denen der Knochen frei liegt, viel schlechter abheilen.

Dadurch entsteht ein erhöhtes Risiko von sogenannten Antiresorptiva-assoziierten Kiefernekrosen (AR-ONJ). Die abgestorbenen Bereiche des schlecht heilenden Knochens müssen immer wieder abgetragen werden, damit der darunter liegende Knochen heilen kann. Infolgedessen droht ein enormer Verlust des Kieferknochens mit einer umfangreichen Folgetherapie.

Aufklärung und Prophylaxeprogramm

Eine gute Mundhygiene stärkt das Zahnfleisch des Patienten. Kleine Wunden nach zahnärztlichen Eingriffen, bei der Nahrungsaufnahme oder der häuslichen Mundhygiene können somit besser abheilen und das Risiko von frei liegendem, schlecht abheilen dem Knochen kann verringert werden. Die Einbindung in ein Prophylaxeprogramm zur Prävention von AR-ONJ ist somit maßgeblich für den Patienten. Hierfür ist eine sensible Aufklärung der Patienten von großer Bedeutung, denn die Patienten haben oft nicht das Bewusstsein, dass die Medikamente auch einen Einfluss auf die orale Gesundheit haben können.

Zu den Hauptindikationen [1] für die Einnahme von Bisphosphonaten und Denosumab gehören:

  • Multiples Myelom (umgangssprachlich:Knochenmarkkrebs)
  • Ossäre Metastasierung solider Tumore (insbesondere des Mamma- und Prostata-Karzinoms)
  • Osteoporose (primäre und sekundäre)
  • Morbus Paget (chronische Knochenstoffwechselkrankheit).

Die AR-ONJ Ereignisraten können drei typischen Patientenkollektiven zugeordnet werden [1]

  • Ein niedriges Risikoprofil bei Patienten mit Osteoporose und Bisphosphonat-Medikation (oral oder i.v. in der jeweiligen Dosis) oder Denosumab-Medikation (60 mg alle sechs Monate s.c.)
  • Ein mittleres Risikoprofil bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren oder Therapie mit Antiresorptiva im Anwendungsgebiet Prävention skelettbezogener Komplikationen bei Tumorerkrankungen und i.v.-Bisphosphonat-Medikation
  • Ein hohes Risikoprofil bei therapeutischen onkologischen Indikationen (zum Beispiel
  • Knochenmetastasen) und monatlicher I.v.-BP-Medikation oder monatlicher S.c.(subcutan)-Denosumab-Medikation (120 mg).

Bisphosphonate haben eine lange Halbwertzeit von ca. 10-12 Jahren [1], da der Wirkstoff im Knochen verbleibt. Aufgrunddessen ist es notwendig, einen Vermerk in der Patientenkartei zu erstellen, auch nach Abschluss der Antiresorptiva-Einnahme.
Das Risiko für AR-ONJ bleibt in dieser gesamten Zeit des Medikamentenabbaus bestehen. Folglich sollte ein Patient nach Bisphosphonat-Einnahme ein Leben lang als Patient mit erhöhtem Risiko eingestuft werden.
Eine Hilfe zur Risikoeinschätzung der Entstehung einer AR-ONJ kann der Laufzettel der DGI (Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich e. V.) bieten. Hier können die Erkrankungsform und die Medikation des Patienten eingetragen werden. Kann der Patient nicht alle Fragen des Bogens selbst beantworten, sollte Rücksprache mit dem behandelnden Allgemeinmediziner gehalten werden. Anhand der Ampelfarben (rot, gelb, grün) kann ein Risikoprofil für weitere Behandlungsindikationen gestellt werden. Das kann eine gute Hilfe für die Zahnarztpraxis sein. Nicht berücksichtigt werden dabei lokale Risikofaktoren (Parodontitis, Druckstellen usw.) und weitere anamnestische Risiken wie z. B. Diabetesmellitus. Der Laufzettel steht zum Download auf der Website der DGI zur Verfügung.

Laufzettel Risiko-Evaluation
Laufzettel der deutschen Gesellschaft für Implantologie. Dieser Zettel hilft bei
der Beurteilung des Risikos von Antiresorptiva-assoziierten Kiefernekrosen vor einer geplanten Implantation. Er kann auch dabei helfen, vorab mit dem Patienten zu klären, ob ein erhöhtes Risiko bei ihm vorliegt.

Denosumab hemmt ebenfalls die Osteoklastenaktivität, allerdings mit einer anderen Wirkungsweise. Der Wirkstoff greift in die Osteoklastenentstehung ein und wird nicht in den Knochen eingebaut. Das Risiko für AR-ONJ besteht hier genauso, allerdings ist die Halbwertzeit mit ca. 30 Tagen deutlich geringer als bei den Bisphosphonaten.

Welche Maßnahmen kann die Prophylaxefachkraft durchführen?

Das Ziel bei Patienten mit einer antiresorptiven Therapie sollte die Vermeidung der Kiefernekrose sein. Der Einsatz der Prophylaxefachkraft spielt hier eine entscheidende Rolle. Um eine Reduktion der Lebensqualität durch das Auftreten einer AR-ONJ zu vermeiden, sollen suffiziente Prophylaxe- und Präventionsmaßnahmen sowie eine frühzeitige und zielführende Therapie durchgeführt werden [1].
In der Prophylaxesitzung ist die regelmäßige Erfragung der Anamnese ein wichtiger Teil. Zunächst sollte erkannt werden,ob Patienten eine antiresorptive Medikation erhalten. Häufig sind die Patienten nicht sensibilisiert, diese Therapie in der Zahnarztpraxis anzugeben. Insbesondere Patienten mit Mamma- und Prostatakarzinom sollten gefragt werden, ob sie eine intravenöse Therapie 1-12 mal im Jahr erhalten. Das kann ein Hinweis auf eine Bisphosphonattherapie sein. Ein guter Indikator bei der Erkennung von Bisphosphonaten ist die Silbe „-dron“ im Wirkstoffnamen, wie z. B. Risedronat, Ibandronat, Zoledronat, Clodronat und weitere. Zusätzlich sollte auf Produktnamen (z. B. Fosamax®, Zometa®, Didronel) geachtet werden, bei denen es jedoch keine regelmäßige Silbe gibt.
Vor und während der Behandlung mit der Bisphosphonat-Therapie sollte ein besonderes Augenmerk auf dem intraoralen Befund liegen. Potentielle bakterielle Eintrittspforten zum Kieferknochen sind während der antiresorptiven Therapie zu vermeiden. Zahnextraktionen sollten vermieden wer- den und Extraktionswunden sollten vor der Therapie vollständig abgeheilt sein. Auch schwere Prothesendruckstellen gelten als Risiko für die Entstehung von AR-ONJ. Der Patient sollte über das mögliche Risiko der Kiefernekrose aufgeklärt werden, damit er bei Auffälligkeiten eine schnelle zahnärztliche Abklärung erhält. Die Recall-Intervalle können bei niedrigem Risikoprofil zwölf Monate, bei mittlerem Risikoprofil sechs Monate und bei hohem Risikoprofil drei Monate betragen [1].
Mundhygieneempfehlungen und die professionelle mechanische Plaquereduktion sollten hier implementiert sein [1], um die Keimzahl in der Mundhöhle möglichst gering zu halten.

Sanierung von Zähnen und Parodont

Engmaschige zahnärztliche Kontrollen werden ebenfalls von den Autoren der S3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen Patienten“empfohlen.
Alle behandlungsbedürftigen Zähne sollten, wenn möglich schon vor Beginn der onkologischen Therapie, behandelt werden. Zähne, die voraussichtlich nicht länger als neun Monate symptomfrei bleiben werden und langfristig nicht erhaltungsfähig sind, sollten zeitnah entfernt werden, sollten sie nicht suffizient in der kurzen Zeit behandelt werden können. Dabei ist aber zu beachten, dass während der Wundheilung (ca. zehn Tage nach der Extraktion bei komplikationslosem Verlauf) nicht mit der Strahlen- oder antiresorptiven Therapie begonnen wird. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf scharfe Kanten an Zahn- und Restaurationsrändern liegen, da jegliche Reizfaktoren für die Mundschleimhaut eine Belastung und ein mögliches Verletzungsrisiko darstellen. Bei Prothesen sind Haftung und Sitz der Prothese zu überprüfen, auch bei bevorstehender Strahlentherapie gilt es, mögliche Druckstellen zu vermeiden.
Ein parodontaler Befund(Taschensondierungstiefen [TST]/Blutung auf Sondierung [BAS], Lockerungen, Furkationsbefall und Rezessionen) sollte vor der onkologischen Therapie bei zuvor auffälligem PSI-Screening (Code 3 bis 4) aufgenommen werden. Bei vorliegender Parodontitis sollte bei einer hohen Komplexität des PAR-Befundes die antiinfektiöse Therapie vor Beginn der antiresorptiven Therapie ab- geschlossen sein.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Der behandelnde Onkologe soll über die erfolgte Zahnsanierung unterrichtet werden (siehe Teil 1). Oft ist es nicht möglich, damit unnötige Verzögerungen in der lebenswichtigen Tumorbehandlung vermieden werden. Unterlaufender Strahlentherapie sind Zahn-, Mund - und Kiefereingriffe mit einem erhöhten Komplikationsrisiko assoziiert, da die Selbstheilungskräfte des Mundraumes stark reduziert sind. Dasselbe gilt für den Zeitraum bis zum Abheilender radiogenen Akuttoxizitäten (circa sechs bis acht Wochen nach Abschluss der Strahlentherapie) [1]. Zusätzlich sollten Zahnextraktionen unter laufender antiresorptiver Therapie vermieden werden.

Resümee

Eine vertrauensvolle, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ausschlaggebend für eine adäquate Betreuung des Patienten vor und unter onkologischer Therapie. Der beratende und begleitende Einsatz der Prophylaxekraft ist prä- sowie posttherapeutisch für den Patienten essenziell. Professionelle Mundhygieneberatungen und unterstützende Empfehlungen beeinflussen den onkologischen Therapieweg positiv. Regelmäßige zahnärztliche Kontrollen sollten auch posttherapeutisch weitergeführt werden. In der Zahnarztpraxis kann im Vorfeld ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, da die Mitarbeit des Patienten entscheidend ist. Eine orale Mukositis (wie in Teil 1 beschrieben) ist oft sehr schmerzhaft und beeinträchtigt die Lebensqualität enorm, deshalb sollten Veränderungen genau protokolliert werden.
Auch bei abgeschlossener Therapie muss der onkologische Therapieweg langfristig in der Patientenakte notiert werden. Ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen bei bestrahltem Gewebe bleibt bestehen. Eine Hyposalivation stellt ebenfalls ein langfristiges Risiko für die orale Gesundheit dar und sollte ebenfalls mit prophylaktischen Konzepten betreut werden. Für das erhöhte Kariesrisiko sind Fluoridpräparate für die häusliche Prävention zu empfehlen, unterstützend durch hoch dosierte lokale Fluorid-Applikationen in der Praxis.

Literaturverzeichnis

1. S3-Leitlinie Antiresorptiva-assoziierte Kiefernekrosen

Autorin und Autor

DH Christin Damann
46414 Rhede
Tel.: 02872/932917
E-Mail: christin.damann@gmx.de

Dr. Daniel Hagenfeld
Fachzahnarzt für Parodontologie
Universitätsklinikum Münster
Abteilung für Parodontologie und Zahnerhaltung
Tel.: 0251/83-45092
E-Mail: Daniel.hagenfeld@ukmuenster.de