Löffel mit Zucker und Himbeere

Ein gemeinsames Ziel: Weniger Zucker

Gegen einen gemeinsamen Feind ziehen Zahnmedizin und Medizin zusammen in den Kampf. Ernährungsassoziierte Erkrankungen stellen beide Felder vor große Aufgaben.

Es kommt nicht so häufig vor, dass Medizin und Zahnmedizin am selben Strang ziehen. Aber beim Thema Ernährung liegen die Gemeinsamkeiten wissenschaftsbasiert auf der Hand. Denn ernährungsassoziierte Erkrankungen sind mittlerweile so verbreitet, dass sie die Hauptursache aller Todesfälle weltweit darstellen. Auch den Mundraum verschonen sie nicht. Und das ist keineswegs trivial, denn eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparats (Parodontitis) etwa hat erwiesenermaßen weitere direkte Auswirkungen auf die systemische Erkrankung Diabetes mellitus. Inzwischen werden über ein Drittel aller Kosten im Gesundheitssystem durch nichtübertragbare Erkrankungen (engl. non-communicable diseases, NCDs) verursacht. Medizin und Zahnmedizin identifizieren in der Ursachenforschung unter anderem einen gemeinsamen Grund: den wachsenden Zuckeranteil in unserer Nahrung.

Zuckerkonsum sorgt für dramatische Zahlen

Das wurde auf der Online-Pressekonferenz „Ernährung – ideale Schnittstelle zwischen Medizin und Zahnmedizin“ der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) deutlich. „Der stetig steigende Zuckeranteil in der Ernährung ist einer der wichtigsten Gründe für diese dramatischen Zahlen. Zucker wird heute als dosisabhängiges Gift betrachtet“, erklärte dort der Ernährungsmediziner und Diabetologe Dr. Matthias Riedl, Hamburg (Abb. 1).

„Die Vielzahl an gesundheitlichen Folgen eines hohen Zuckerkonsums erstreckt sich in ein erhöhtes Entzündungspotenzial von Zahn, Zahnfleisch, Gelenken, der Haut und anderen Organen. Des Weiteren wird das Immunsystem geschwächt und die Infektanfälligkeit erhöht sich. Magen- und Darmbeschwerden werden gefördert. Die Darmflora leidet unter hohem Zuckerkonsum. Sogar Schlafprobleme können auftreten.“

Zu den bekanntesten gesundheitlichen Risiken gehöre Diabetes mellitus Typ 2. Es werde vermutet, dass schon 2040 etwa 12,3 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt sein werden, wenn sich der Zuckerkonsum nicht verringere. Beschleunigte Arterienverkalkung mit hoher Infarktgefahr sei eine der schwersten Folgen von Diabetes mellitus. Riedl nannte dabei erschreckende Zahlen: „Rund 70 % der 60.000 Amputationen in Deutschland werden bei Menschen mit Diabetes durchgeführt.“

Ernährung spielt entscheidende Rolle

„Ernährung spielt für den gesunden Mundraum eine ebenso entscheidende Rolle, wie sie es auch für den intakten Gesamtorganismus tut“, führte DGZMK-Präsident Prof. Dr. Roland Frankenberger (Uni Marburg, Abb. 2) aus.

„Zucker stellt dabei zweifelsfrei den klassischen ‚Common Risk Factor‘ dar, der Zahnmedizin und Medizin vereint wie kein zweiter Stoff. Das Paradebeispiel ist dabei der Einfluss von Zucker auf die Kariesentstehung.“ Frankenberger: „Ohne Zucker keine Karies – so einfach ist das!“ Auch mit Zucker wäre Karies kein Problem, wenn alle Menschen im Rahmen der häuslichen Mundhygiene ihre Zähne zu 100% sauberputzten. Ohne bakteriellen Biofilm könne keine Karies entstehen, weil immer Zucker UND Bakterien vorhanden sein müssten. „Das Problem ist: 100% saubere Zähne sind eine Illusion und daher ist ein vernünftiger Umgang mit zuckerhaltiger Ernährung aus kariologischer Sicht extrem wichtig“, machte der DGZMK-Präsident deutlich.

 

Gebisse vor Jungsteinzeit weisen kaum Karies auf

Die Warnung vor hohem Konsum der problematischen Substanz hat heute schon deshalb ihre Relevanz, weil der Zuckerkonsum von unter 1 kg pro Kopf pro Jahr vor dem Jahre 1800 im Rahmen der Industrialisierung auf über 30 kg pro Kopf pro Jahr regelrecht explodiert ist. Mit verheerenden Folgen. Prof. Dr. Johan Peter Wölber (Uni Freiburg, Abb. 3):

„Während archäologische Funde von Gebissen vor dem Neolithikum und Gebisse von wildlebenden Tieren kaum Karies aufweisen, zeigen moderne Bevölkerungen in Industrienationen erheblich erhöhte Prävalenzen an Karies.“ „Neu zusammenfassende Untersuchungen zeigen, dass der Zuckerkonsum auch zur Entstehung einer Gingivitis beiträgt und mit mehr Parodontitis assoziiert ist“, erläuterte Wölber. Neuere Interventionsstudien die eine Zuckervermeidung der Proband*innen beinhalteten, konnten sogar trotz gleichbleibendem oder vermehrtem Zahnbelag eine Reduktion der Zahnfleischentzündung zeigen.

Gesundheitspolitik gefordert

Die Quintessenz der Wissenschaftler: Die Gesundheitspolitik ist in Sachen Zuckervermeidung dringend gefordert, etwa im Sinne der Verhältnisprävention. Konkret wurden Werbeverbote, Zuckersteuer, verminderte Präsentation und bessere Kennzeichnung in Supermärkten genannt. Angesichts der großen wissenschaftlichen Evidenz zu den krankmachenden Folgen hohen Zuckerkonsums sei der Gesetzgeber hier in seiner Fürsorgepflicht gefordert.

Das kann jeder tun

Aber auch der Einzelne kann bereits vieles tun. Dr. Matthias Riedl hat mit seiner my-FoodDoctor-App ein Werkzeug entwickelt, das dem Nutzer hilft, zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung zu gelangen.Der Nutzer trackt mit der App vier Tage lang seine Essgewohnheiten und erhält anschließend eine ausführliche Analyse der verzehrten Nahrungsmittel, einschließlich des Zuckerkonsums, sowie konkrete Ratschläge für ein ausgewogenes und gesundes Essverhalten. Viele Nutzer konnten so bereits auf Insulinspritzen verzichten oder sind nun nicht mehr auf Bluthochdruckmedikamente angewiesen.

 

Mehr Informationen unter my-FoodDoctor

 

Titelbild: Myriam Zilles - unsplash.com

Quelle: DGZMK