Im folgenden Interview gibt Prof. Dr. Johannes Einwag Auskunft darüber, welche Herausforderungen in den nächsten Jahren auf die Zahnärzte und ihre Mitarbeiter auch in der Qualifikation zukommen werden.
Herr Prof. Einwag, Sie sagen, Prophylaxe funktioniert in allen Altersgruppen. Aber jede Altersgruppe hat doch ihre besonderen Herausforderungen. Gibt es einen Kern oder ein Grundgerüst für so ein altersübergreifendes Prophylaxekonzept, das die Arbeit in der Praxis erleichtert?
Prof. Dr. Johannes Einwag: Selbstverständlich gibt es ein Grundgerüst: Wir nennen es Basisprophylaxe! Und es funktioniert – in allen Altersgruppen – auch bei den unterschiedlichsten Risiken: Mundhygiene – Fluoride – zahngesunde Ernährung sind Empfehlungen, die sich als wirksam für jede Person bewährt haben und sowohl im Rahmen der häuslichen als auch der professionellen Prophylaxe sinnvoll eingesetzt werden können.
In Abhängigkeit von individuellen Faktoren sind dann gegebenenfalls zusätzlich zur Basisprophylaxe ergänzende Maßnahmen erforderlich, um individuelle Erkrankungsrisiken ganz gezielt zu verringern, zum Beispiel Fissurenversiegelung, häufigere Frequenz der professionellen Fluoridierung, häufigere professionelle Belagentfernung. Dies bezeichnen wir als Intensivprophylaxe.
Mit den Null- bis Dreijährigen und mit den Senioren und Pflegebedürftigen sehen viele Praxen neue Herausforderungen auf sich zukommen, auch wenn es um die Prophylaxe geht. Werden Sie dazu in Ihrem Vortrag auf dem DZW Präventions-Forum Empfehlungen geben?
Einwag: Die Teilnehmer erhalten von mir ein „Kochbuch“, in dem die „Rezepte“ auch für diese Altersgruppen enthalten sind. Das ist gar nicht so schwer, denn die Antworten zu ersten Frage gelten auch für diese Personen! Die Konzepte müssen nur – leicht modifiziert – umgesetzt werden. Das ist alles.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Beispiel über den Biofilm, zum Kariesmanagement, neue Geräte und Präparate etc. verändern auch die Prophylaxe, so mancher Leitsatz ist in den vergangenen 20 Jahren über Bord geworfen worden. Welche Entwicklungen sind für Sie aktuell mit Blick auf die Prävention besonders spannend?
Einwag: Das ist ja das eigentlich Faszinierende an der zahnärztlichen Prophylaxe: All unser Wissenszuwachs in Detailfragen in den vergangenen Jahrzehnten hat lediglich dazu geführt, dass die seit 50 Jahren gültige „zentrale Botschaft“ für die angewandte Prävention immer wieder bestätigt wurde: „Ein sauberer Zahn bleibt gesund!“ Mit dieser Maßnahme können die biofilminduzierten Erkrankungen – Karies, Gingivitis, Parodontitis, Mukositis, Periimplantitis –, die immer noch die mit Abstand häufigsten Erkrankungen der Mundhöhle sind, vermieden oder zum Stillstand gebracht werden. Ein effizientes mechanisches Biofilmmanagement steht nach wie vor im Mittelpunkt einer erfolgreichen oralen Prophylaxe! Chemie – Fluoride, Chlorhexidin und Co – ist allenfalls Ergänzung und kann nie als Ersatz für ein unzureichendes mechanisches Biofilmmanagement eingesetzt werden.
Aktuell besonders spannend sind neuere Entwicklungen im Bereich der Pulverstrahltechnologie! Neue Pulver ermöglichen ein gleichermaßen wirksames wie auch besonders oberflächenschonendes mechanisches Entfernen nicht mineralisierter Beläge sowohl im Bereich der Zahnkrone als auch der Zahnwurzel bis zu Sondiertiefen von zirka vier bis fünf Millimetern.
Klassische Verfahren der professionellen Belagsentfernung, wie die Handinstrumentation oder der Einsatz von Schall- und Ultraschalltechnologie werden zwar nach wie vor für die Entfernung mineralisierter Beläge benötigt oder an tieferen Stellen zum Einsatz kommen; der Verdrängungswettbewerb in Richtung Pulverstrahltechnologie hat aber – gefördert durch die epidemiologische Entwicklung – bereits begonnen.
Sie bilden am ZFZ in Stuttgart seit vielen Jahren Prophylaxefachkräfte aus. Wie hat sich die Ausbildung über die Jahre verändert und wohin geht aus Ihrer Sicht die Reise beim Fachpersonal für die moderne Zahnarztpraxis?
Einwag: Der zahnärztliche Berufsstand wird mittelfristig ganz entscheidend von folgenden Faktoren geprägt sein: der demografischen Entwicklung (die Menschen werden älter), dem enormen Kostendruck im Gesundheitswesen, dem Mangel an qualifizierten Fachkräften und der Feminisierung des Berufsstands.
Fachlich scheint ebenfalls die grundlegende Richtung vorgegeben: Durch effektive präventive Strategien lässt sich ein Großteil der Hart- und Weichgewebserkrankungen der Mundhöhle vermeiden. Abweichungen vom „Gesunden“ werden durch neue Diagnoseverfahren frühzeitiger als bisher erkannt, und therapeutische Eingriffe erfolgen in einem Stadium, das eine weitgehende Restitutio ad Integrum ermöglicht und mit Materialien und Strategien, die die Rezidivrate minimieren. Und es ist eine verstärkte „Digitalisierung der Zahnmedizin“ zu erwarten.
Die Erwartungshaltung der Patienten und der Gesellschaft wird sich entsprechend ändern – die Strukturen und Organisationsformen der Zahnarztpraxen wie auch die Qualifikationen der Mitarbeiter werden sich anpassen müssen, wenn die Praxen fachlich und betriebswirtschaftlich erfolgreich überleben wollen.
Für das Fachpersonal bedeutet das konkret – und diese Entwicklung ist auch im ureigenen Interesse der Zahnärzte: ein breites Angebot an Qualifikationsmöglichkeiten, das die Bedürfnisse der Praxen abdeckt und das entweder im Rahmen einer Grundausbildung oder einer berufsbegleitenden Fortbildung erworben werden kann.
In der Bundesrepublik sind wir hier auf einem guten Weg – mit ZMP, ZMF, DH, Praxismanagerin, ZMV, Dentaler Fachwirt, um nur einige Beispiele zu nennen. Seit 1974, dem Jahr der ersten Fortbildung zur ZMF in Deutschland – zunächst nur in Baden-Württemberg –, hat sich doch eine Menge getan. Ich bin sicher: Das ist noch lange nicht das Ende der Reise!
Zur Person
Prof. Dr. Johannes Einwag promovierte 1980 in Bonn, 1986 folgte die Habilitation in Würzburg. Seit 1992 ist er Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums (ZFZ) in Stuttgart und Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Kongresses für Präventive Zahnheilkunde, seit 1996 ist er Vorsitzender der Gesellschaft für Präventive Zahnheilkunde. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die angewandte orale Präventivmedizin. Zweiter Schwerpunkt ist die Fortbildung von Zahnärzten und des zahnmedizinischen Fachpersonals, hier ist das ZFZ unter seiner Leitung und dank seines auch standespolitischen Engagements bundesweit immer wieder Vorreiter für neue Entwicklungen und Konzepte.
Artikel von: DZW