Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf gehören auf Grund ihrer häufig eingeschränkten Mundhygienefähigkeit und/oder Behandlungskooperativität zur Risikogruppe für Karies und Parodontalerkrankungen. Seit vielen Jahren engagieren sich deshalb Zahnmediziner, die Mundgesundheit dieser Patienten zu verbessern. Im Jahre 2010 wurde den Kostenträgern und der Gesundheitspolitik das Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter – Konzept zur vertragszahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen“ (AuB Konzept) unterbreitet. Es wurde gemeinsam durch die Arbeitsgemeinschaft Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung oder speziellem medizinischen Behandlungsbedarf (AG ZMB), die Deutsche Gesellschaft Alterszahnmedizin (DGAZ), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) erarbeitet (1). Wissenschaftlich fundiert wurden darin nachteilsausgleichende präventive und therapeutische Leistungen sowie der Ausgleich des Mehraufwandes für die zahnmedizinische Behandlung gefordert.
Mit dem Beschluss des § 22a (SGB V) im Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz) im Dezember 2015 konnte als ein erster Schritt erreicht werden, dass Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen Anspruch auf zusätzliche Leistungen zahnmedizinischer Prävention erhalten (2). Anspruchsberechtigt sind danach Menschen mit Behinderung, die Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII (3) beziehen oder einen Pflegegrad (1-5) entsprechend § 61b SGB XII (4) haben.
Art und Umfang dieser vertragszahnärztlichen Leistungen werden in der Richtlinie zum § 22a geregelt, die im Oktober 2017 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossen wurde. Nach deren Prüfung und Nichtbeanstandung durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 29. März 2018 tritt die Richtlinie nun am 1. Juli 2018 in Kraft (5) und die Patienten können die gesetzlich festgeschriebenen Maßnahmen in den Zahnarztpraxen in Anspruch nehmen. Bei Menschen mit eingeschränkter Mobilität können die Leistungen auch im häuslichen Umfeld erfolgen, wenn keine zahnmedizinischen Gründe dagegen sprechen. Die Richtlinie ist auf den Internetseiten des G-BA veröffentlicht (6). Der Bewertungsausschuss, der von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Krankenkassen gebildet wird, legt derzeit die Bewertungen für die zahnärztlichen Leistungen im BEMA und deren Abrechnung fest.
Ziel der zusätzlichen zahnmedizinischpräventiven Leistungen ist es, das überdurchschnittlich hohe Risiko für Karies-, Parodontal- und Mundschleimhauterkrankungen für Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf zu senken. Die neuen Leistungen umfassen deshalb neben der Erhebung eines Mundgesundheitsstatus auch die Aufklärung über die Bedeutung der Mundhygiene sowie über Maßnahmen zu deren Erhaltung. Dabei sollen und können Unterstützungs- bzw. Pflegepersonen einbezogen werden, was von besonderer Bedeutung und erstmals gesetzlich festgeschrieben ist. Neben der Erstellung eines Planes zur individuellen Mund- und Prothesenpflege auf einem standardisierten Dokumentationsblatt ist die Entfernung harter Zahnbeläge enthalten (Tab. 1). Alle zusätzlichen Leistungen sind in einem Informationsblatt, das auch in leicht verständlicher Sprache verfügbar sein wird, zusammengestellt.
Die Umsetzung des § 22a SGB V mit den zielgruppenspezifischen Angeboten ist ein weiterer bedeutender Schritt und eine wichtige Basis zur Verbesserung der Mundgesundheit von Menschen mit Behinderung oder Pflegebedarf. Um ihnen allerdings eine Chance für eine nachteilsausgleichende und gleichwertige Zahnund Mundgesundheit zu bieten, sind weitere Forderungen des AuB-Konzeptes umzusetzen und deren Finanzierung zu klären. Dazu gehören Maßnahmen wie die Fluoridapplikation, die Anwendung antimikrobieller Wirkstoffe, die Anpassung therapeutischer Leistungen mit einem Ausgleich des Mehraufwandes sowie Regelungen zu notwendigen Behandlungen in Intubationsnarkose.