Zugleich machen die Ergebnisse deutlich: Gerade die gesetzlich verpflichtenden Maßnahmen bedeuten für die Praxisteams im Moment eher Mehraufwand als Entlastung.
Inhalt
Digitalisierung gut vorbereiten
Strukturierte Prozesse: Digitale Tools in fünf Schritten einführen
Trend zur digitalen Fortbildung
Wachsende Anforderungen – doch die richtigen Rahmenbedingungen fehlen
Es fehlt an Support und die Praxen sind am Limit
Laut Umfrage nutzt bereits jede sechste Praxis (17 Prozent) ein digitales Telefonassistenzsystem, ein Drittel setzt auf Online-Terminbuchung (32 Prozent) und fast die Hälfte (44 Prozent) nutzt digitale Weiterbildungsangebote: Deutschlands Arzt- und Zahnarztpraxen wissen die Vorteile digitaler Tools offenbar zu schätzen. „Neuerungen bedeuten zwar erst mal Mehraufwand und kosten Zeit“, sagt Iris Schluckebier. Die ausgebildete MFA und VERAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) ist mit 28 Jahren Berufserfahrung Expertin für Qualitätsmanagement, Praxisberaterin und Teilnehmerbetreuerin beim PKV Institut. „Aber wenn Digitalisierungsmaßnahmen dauerhaft Zeit sparen, überzeugen sie selbst die größten Skeptiker im Team.“
Digitalisierung gut vorbereiten
Dazu gehöre eine gute Vorbereitung auch auf technischer Ebene, etwa der Abgleich mit der eigenen IT- und Prozess-Infrastruktur. Nur bei 60 Prozent der befragten Praxen seien digitale Helfer überwiegend mit
der Praxissoftware kompatibel und verbunden, bei 28 Prozent sei dies nur teilweise der Fall. Für die Expertin ein Zeichen, dass Digitalisierungsmaßnahmen oftmals vorschnell eingeführt werden. „Digitalisierung darf nicht aufgezwungen werden“, gibt sie zu bedenken. „Tools müssen zur Praxissoftware und zu den eigenen Prozessen und Strukturen passen.“ Den Einführungsprozess neuer digitaler Tools erleben laut Umfrage 38 Prozent der Teams als „sehr gut“, 47 Prozent dagegen als „nicht so gut“.
Strukturierte Prozesse: Digitale Tools in fünf Schritten einführen
Ob Praxismanagerin oder Praxisleitung: Wer ein digitales Tool einführen will, sollte laut Schluckebier fünf Schritte bzw. Phasen einhalten:
Zuerst sollte das neue Tool in einer Teamsitzung präsentiert werden. Dabei sollen einerseits Chancen und Vorteile, andererseits aber auch Nachteile und Herausforderungen ehrlich benannt werden.
Der zweite Schritt: Eine offene Diskussionsrunde, in der alle Einwände ernstgenommen und nachgeprüft werden. „Durch rechtzeitige fundierte Rücksprache mit Anbieter oder IT-Dienstleister lassen sich so viele Startschwierigkeiten von vornherein vermeiden“, so Schluckebier.
Als dritten Schritt empfiehlt die Expertin eine intensive Schulung durch den Softwareanbieter und/oder IT-Dienstleister: „Digitalisierung geht nicht nebenbei, man muss sich die Zeit nehmen, neue Lösungen bedarfsgerecht einzurichten und dabei alle im Team mitzunehmen.“
Als vierter Schritt folgt die Information zum neuen Service an die Patientinnen und Patienten.
Der fünfte Schritt solle in der darauffolgenden Übergangsphase zum Tragen kommen, rät die Expertin. In dieser Phase sollte neben der digitalen Lösung etwa zur Rezeptausstellung auch der analoge Weg noch beibehalten werden: „Das ganze Team sollte Patienten immer wieder auf den neuen Service hinweisen und auch einander konsequent an den neuen Weg erinnern“, so Schluckebier. Als in ihrer Praxis vor 30 Jahren der PC eingeführt wurde, sei sie selbst zunächst skeptisch gewesen. „Aber ein halbes Jahr später wussten wir nicht mehr, wie wir ohne PC zurechtkommen sollten.“
Trend zur digitalen Fortbildung
Vierundvierzig Prozent der Befragten gaben an, digitale Weiterbildungsangebote zu nutzen. „Digitale Fortbildungsformate stellen Antworten bereit, wenn diese gebraucht werden“, sagt dazu Dajana Schmidt, die sich beim PKV Institut zur Praxis- und Abrechnungsmanagerin weitergebildet hat: „Durch selbstbestimmte und flexible Zeiteinteilung sind sie oftmals mit jeder Lebens- und Berufssituation vereinbar.“ Die Einsparung von Fahrtzeit und -kosten habe nicht nur betriebliche Vorteile, sie sei auch umweltfreundlicher. Nicht zuletzt sei die digitale Vernetzung mit anderen Praxisteams ein wertvoller Aspekt: „Der Beruf wird immer komplexer, sodass auch der Austausch innerhalb der digitalen Community immer mehr an Bedeutung gewinnt.“
Wachsende Anforderungen – doch die richtigen Rahmenbedingungen fehlen
Wie die Umfrageergebnisse auch zeigen, ist es ein Vorurteil, dass Ältere sich nicht mit Fragen der Digitalisierung befassen wollen: An der Online-Umfrage nahmen MFAs und ZFAs im Alter von 22 bis 65 teil, mehr als ein Viertel der Teilnehmerinnen war 55 Jahre und älter. MFA Karola Bommer betreut die Facebook-Seite und den Instagram-Kanal ihrer Hausarztpraxis (Zweigstelle Heringen, Hessen). Aktuell bereitet sie die Einführung digitaler Gesundheitsanwendungen in der Landarztpraxis vor – eine digitale Anwendung, die derzeit kaum 13 Prozent der Befragten in der Praxis nutzen. „Man muss offen für Neues bleiben“, sagt die Praxismanagerin. Wenig Offenheit verspürt die 54-Jährige hingegen für Maßnahmen wie
die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU): „Wir geben unseren Patienten nach wie vor die gelben Zettel mit und empfehlen, diese zur Sicherheit per Post an die Krankenkasse zu schicken.“ Denn ob die eAU auch angekommen sei, ob es mit der elektronischen Signatur geklappt habe, das könne man manchmal gar nicht zu 100 Prozent sagen – da fehle einfach die Rückkopplung.
Es fehlt an Support und die Praxen sind am Limit
Manches werde vorgegeben, obwohl es nicht ausgereift sei, und die Praxen müssten sehen, wie sie zurechtkommen. „Wir haben mehr Aufwand durch die eAU, nicht weniger.“ Dabei komme gerade die eAU laut Umfrage bei 21 Prozent der Patienten sehr gut, bei 47 Prozent gut an. „Wenn die Einführung besser funktionieren würde, hätte die eAU auch in den Praxisteams mehr Fürsprecher“, vermutet Bommer. Auch Dajana Schmidt, die neben ihrer Tätigkeit in der Zahnarztpraxis ihres Mannes als Business Coach in ganz Deutschland unterwegs ist, bemängelt den fehlenden Support für Arztund Zahnarztpraxen: „In anderen Branchen würde manche unausgereifte Lösung boykottiert, aber Praxen sind durch Pandemie, Überlastung und wachsende bürokratische Anforderungen so am Limit, dass sie gar nicht die Zeit haben, die Rahmenbedingungen infrage zu stellen.“
Mehr Zuversicht – es wird besser werden
Mehr als 80 Prozent der befragten Praxen stellen die eAU zwar aus, aber ebenso viele geben an, durch dieses digitale Tool keinerlei Entlastung zu erleben. „Ich selbst stehe der Digitalisierung sehr offen gegenüber, aber es braucht hier mehr Struktur im Aufbau und nicht nur politische Experimente, sondern fundiertes Wissen und eine Umsetzung, die funktioniert“, kommentiert Claudia Groß, selbstständige Praxismanagerin in Sachsen: „Andere Länder sind da deutlich weiter als wir.“ QM-Expertin Schluckebier plädiert für Zuversicht, auch wenn es schwerfällt: „Der Zeitpunkt der Einführung war nicht optimal, die Praxen kommen nicht zur Ruhe und der Wow-Effekt wird hier noch auf sich warten lassen. Aber die Vorgaben sind nun mal da und wir müssen sehen, wie wir sie umgesetzt bekommen. Die Probleme bei der Einführung offenbaren Knackpunkte innerhalb eines hochkomplexen Systems, das ist bei aller politischen Anstrengung und beim besten Willen nicht von heute auf morgen zu schaffen. Praxisleitungen und Praxismanagerinnen sind deswegen besonders in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen, zu motivieren und Geduld und Zuversicht zu verbreiten: Es wird besser werden.“ pi
Quelle: PKV-Institut
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