Sondieren ist nicht gleich sondieren. Das wird oft sehr unterschiedlich durchgeführt und dokumentiert und das Ergebnis hängt von vielen Faktoren ab: Sondierungsdruck, Durchmesser der Sonde, Anstellwinkel und vieles mehr. Wie viele Messpunkte pro Zahn sollen eigentlich gemessen werden? Auch diese häufig gestellte und diskutierte Frage werden wir beantworten.
Inhalt
- Beginnen wir von vorne
- Sonden mit unterschiedlichen Skalierungen
- Funktion der Parodontalsonde
- Wo wird sondiert?
- Warum sechs Messstellen?
- Die Technik
- Parameter und Systematiken
- Visualisierung für den Patienten und Dokumentation
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Beginnen wir von vorne
Parodontale Befunde sind das Fundament der Diagnostik – ohne komplette Befunderhebung ist keine Einstufung in die neue Klassifikation der PA-Erkrankungen möglich. Wichtig ist daher, dass in der Praxis ein einheitliches Vorgehen zur Messung parodontaler Befunde abgestimmt und durchgeführt wird. Zahnärzte, DHs und ZMPs sollten sich in regelmäßigen Abständen kalibrieren, um eine Vergleichbarkeit der parodontalen Messwerte zu gewährleisten. Denn die Messunterschiede können ganz enorm sein, wenn zum Beispiel ein anderer Winkel oder Druck gewählt wird (1, 2).
Parodontitis beruht auf einem multifaktoriellen Geschehen, das in einem empfindlichen Gleichgewicht steht. Im Rahmen einer individuell abgestimmten und risikoorientierten Patientenführung bietet ein patientenverständliches Risikomanagement die Chance auf dauerhaft positive Mundgesundheit.
Das parodontale Risikomanagement ist ein systematischer Prozess, der mit einer umfassenden Anamnese beginnt. Die spezielle und allgemeine Anamnese – also persönliche und familiäre Dispositionen, Allergien und Vorerkrankungen, die dauerhafte Einnahme von Medikamenten, Rauchverhalten und sonstige für die Mundgesundheit bedeutsame Lebensgewohnheiten – werden dokumentiert. So fügt sich, gemeinsam mit der klinischen Untersuchung, ein komplettes Bild zusammen, das uns in die Lage versetzt, den Patienten umfassend zu beurteilen, die Behandlung zu planen oder, durch den Vergleich der Befunde, die Behandlungsfrequenz besser zu steuern (3, 4).
Aufgrund verschiedener Krankheitsverläufe und Schweregrade der Parodontalerkrankungen haben die Erfassung, die Beurteilung und die regelmäßige Evaluation klinischer Parameter einen besonders hohen Stellenwert. Die Komplexität der Parodontitis macht eine umfangreiche Befunderhebung und eine umfassende Bewertung des individuellen Risikos erforderlich. Einschätzungen auf Grundlage einzelner Parameter werden dieser multifaktoriellen Krankheit nicht gerecht. Daher sollte im Rahmen einer ausführlichen Befunderhebung der parodontale Status des Patienten in regelmäßigen Abständen erfasst werden (5, 6).
Sonden mit unterschiedlichen Skalierungen
Bei der klinischen Befunderhebung ist die Parodontalsonde unser wichtigstes Tool, um Informationen zur Gesundheit oder parodontalen Erkrankung unserer Patienten zu erhalten. Mit anderen Worten: Ist das Gewebe gesund oder krank? Eine Parodontalsonde hat ein stumpfes, stabförmiges Arbeitsende, das im Querschnitt kreisförmig ist und Millimetermarkierungen in unterschiedlichen Skalierungen aufweist. Das Arbeitsende und der Schaft treffen sich in einem definierten Winkel, der normalerweise größer als 90° ist. Uns stehen dafür verschiedene Sonden mit unterschiedlichen Millimeter- Einteilungen zur Verfügung: z. B. R225EX23-UNC15mm von Zantomed mit 1 mm Markierungen über einen Bereich von 15 mm. Dabei sind die Abschnitte zwischen 4 und 5 mm, 9 und 10 mm sowie 14 und 15 mm komplett schwarz, um eine Orientierung zu ermöglichen und für das Ablesen zu erleichtern (Abb. 1). Alternativ kann eine Sonde mit 12 mm Einteilung eingesetzt werden, z. B. eine PR Baylor 1-2 mit 12 mm langen Markierungen, die in 3 mm lange Abschnitte eingeteilt sind (Abb. 2). Die Sonden sind bei vielen Herstellern erhältlich – aus Metall oder Kunststoff für die Anwendung bei Implantaten (Abb. 3). Ferner ist auch die klassische WHO-Sonde für die Ermittlung des PSI in jeder Praxis vorhanden (Abb. 4). Es gibt eine Vielzahl international verwendeter Sonden, die letztendlich die bereits genannten Voraussetzungen erfüllen müssen: stumpfes Ende, gut ablesbare Messeinteilung für den/die Zahnarzt/Zahnärztin oder den/die Dentalhygieniker/in. In der klinischen Routine sollte man auf höchste Genauigkeit achten und sehr genau ablesen. Durch unterschiedlichen Druck beim Einführen oder veränderten Anstellwinkel kann es zu Abweichungen bei den Messergebnissen (insbesondere durch verschiedene Behandler) kommen, was einen Nachteil z. B. im Recall darstellt. Daher ist eine Kalibrierung zwischen Zahnarzt/Zahnärztin und DH wie eingangs schon erwähnt unumgänglich.
Funktion der Parodontalsonde
Die Primärfunktion der Parodontalsonde ist die Erfassung parodontaler Taschen, um den Gesundheitszustand des Parodonts zu bestimmen. Bereits im Jahre 1958 beschrieb der Parodontologe B. J. Orban die Parodontalsonde als „Auge des Arztes unter der Gingiva“ und zeigte damit auch die Wichtigkeit einer vollständigen parodontalen Untersuchung auf. Aber was zeigt uns die Sondierung noch?
- Erfassen der Sondierungstiefe (ST), Gingivaverlauf und Attachmentlevel (CAL) für den Parodontalstatus
- Ertasten überstehender Füllungsränder
- Ertasten von subgingivalen Konkrementen und subgingivalen Rauigkeiten
- BOP (Bleeding on Probing) als Entzündungszeichen.
Die Sonde ist also das wichtigste klinische Werkzeug, um folgende Parameter zu ermitteln:
- Sondierungstiefen
- Rezessionen
- gesamter Attachmentverlust
- Breite der befestigten Gingiva
- Blutungsneigung während des Sondierens – den BOP (Bleeding on Probing).
Wo wird sondiert?
Die Sondierungstiefe ist also ein Maß für die Tiefe eines Sulcus oder einer parodontalen Tasche. Sie wird bestimmt, indem der Abstand vom Zahnfleischrand zum Sulcusboden oder Taschenboden gemessen wird. Diese Messungen werden an sechs spezifischen Bereichen an jedem Zahn aufgezeichnet:
- distobuccal
- medialbuccal
- mesiobuccal
- distooral
- medialoral
- mesiooral
Warum sechs Messstellen?
Nun, es gibt häufig Fälle, bei denen der Abbau des Parodonts nicht horizontal verläuft. Eine Messung mit nur zwei Messpunkten, beispielsweise von buccal immer mesial und distal, zeigt dann nur ein unzureichendes und ungenaues Bild der parodontalen Situation. Es kann so vorkommen, dass von buccal alle Sondierungstiefen unauffällig sind (1-3 mm), sich jedoch von oral ein ganz anderes Bild ergibt – oft zu sehen bei Rauchern. Deshalb ist eine umfassende Sechs-Punkt-Messung unumgänglich.
Die Technik
Eine verlässliche Sondierungstechnik verlangt einen leichten Druck von 0,25 N. Die Distanz, die eine parodontale Sonde bis zu einem spürbaren Widerstand am Taschenboden zurücklegt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig:
- vom Durchmesser der Sonde
- vom Entzündungsgrad des Zahnfleischgewebes
- von der Gewebsfestigkeit des Saumepithels
- von der Dichte der bindegewebigen Faserzüge des Zahnhalteapparats.
Zuverlässige Ergebnisse erhält man, wenn die Sonde mit „schreitenden“ Bewegungen (Walking Probe) durch die Zahnfleischtasche/ Sulkus geführt wird. Bildlich gesehen wie ein „Spaziergang“, in Auf- und Ab-Bewegungen in systematischer Abfolge um den Zahn. Der Schaft der Sonde steht dabei in einem Anstellwinkel von ca. 10-15 Grad zur Zahnoberfläche, also möglichst parallel zur Zahnachse, und berührt die Kontaktflächenbereiche. Falsche Messwerte ergeben sich, wenn die Parodontalsonde zu steil oder zu flach gehalten wird. Studien haben ergeben, dass Fehlmessungen im Bereich von 0,5-2 mm liegen und somit zu sehr großen Differenzen führen können.
Parameter und Systematiken
Es ist wichtig, nicht nur die Sondierungstiefen aufzunehmen, sondern auch den gesamten Attachmentverlust. Denn ein Zahn, der eine Sondierungstiefe von 5 mm ohne Rezession aufweist, hat einen nur geringen Attachmentverlust. Hat der Zahn aber, bei gleicher Sondierungstiefe, eine Rezession von 4 mm, ergibt sich ein Attachmentverlust von 9 mm, was enorm hoch ist. Von daher ist es immer sinnvoll, beides im Blick zu haben und zu messen.Bei allen Messungen kommt es auf Genauigkeit, aber auch auf den Zeitfaktor an. Man kann Sondierungstiefe, Rezession und BOP in einzelnen „Runden“ um den Zahn messen und bewerten. Dabei ist es sinnvoll, immer quadrantenweise vorzugehen, z. B. mit einem Beginn im ersten Quadranten von buccal. Man startet am Zahn 17 und misst die Sondierungstiefen zunächst von der buccalen Seite distal, medial, mesial an jedem Zahn. An Zahn 11 mesial angekommen, bleibt der Spiegel in der Wange und wir schauen zu 17 zurück, um den BOP aufzunehmen. Dieser „Zick-Zack-Kurs“ macht Sinn, da sonst die Blutungspunkte des BOP verwischen könnten und so ein ungenauer BOP-Wert ermittelt wird. Der BOP ist bei Parodontalpatienten der aussagekräftigste Blutungsindex, um den Entzündungsgrad zu dokumentieren. Erhoben wird hier der Prozentsatz der Stellen, die bei der Sondierung des Sulkusbodens geblutet haben (sechs Messpunkte pro Zahn, analog zur Sondierungstiefe). Ist der BOP negativ, kann man von einer parodontalen Stabilität von 98-99 % ausgehen (2), es sei denn, der Patient raucht. Dann misst man jeden Quadranten weiter durch und dokumentiert den BOP im „Zick-Zack“-Verfahren. Im Anschluss geht man dann den gleichen Weg noch einmal und dokumentiert die Rezession wie bei der Messung der Sondierungstiefe, mit ebenfalls sechs Messpunkten. Wie oben schon erwähnt, liegt der Messfehlerbereich bei der Sondierungstiefenmessung UND der Messung der Rezessionen bei 0,5-2 mm – allerdings addieren sich die Messfehler dann bei zwei getrennten Durchgängen beim Messen auf 1-4 mm. Ein enorm hoher Wert! (7, 8)
Sind generalisiert Rezessionen vorhanden, empfiehlt es sich, Sondierungstiefen und Attachmentverlust in einer Messung zu dokumentieren. Nachdem die Sonde in die Tasche eingebracht wird, erfolgt das Ablesen der Werte gleichzeitig. Es wird zunächst die ST abgelesen. Die ST ist definiert als Distanz vom Rand der Gingiva zum „sondierbaren Taschenboden“. Anschließend bleibt die Sonde in der Tasche, dann kann der AV abgelesen werden. Es ist die Strecke vom Taschenboden bis zur Schmelz-Zement-Grenze. So erhält man in einer Messung den CAL (Clinical attachment level). Um ein möglichst vollständiges Bild der parodontalen Situation zu erhalten, sollte immer an sechs Stellen pro Zahn gemessen werden (Abb. 5). Ein weiterer Vorteil ist, da es sich um nur eine Messung handelt, dass die Messfehlerquote deutlich geringer ist. Zur Beurteilung des Ausmaßes parodontaler Destruktionen wird daher der klinische Attachmentlevel oder -verlust (CAL) gemessen, der sich auf die Schmelz-Zement-Grenze als fixen Referenzpunkt bezieht. Konstante Messungen des Attachmentlevels erlauben eine Verlaufsbeurteilung und damit, ob es zu einer weiteren Progression der Erkrankung kommt, die parodontale Situation tatsächlich stabil bleibt oder Attachment regeneriert werden konnte.Im Recall erheben wir bei parodontal wieder gesunden Patienten einmal jährlich den Parodontalstatus, bei parodontal erkrankten Patienten zweimal jährlich. Folgende Parameter nehmen wir dafür standardmäßig auf:
Visualisierung für den Patienten und Dokumentation
Bei der Vielzahl zu erhebender Parameter ist eine gute Verlaufsdokumentation essenziell für eine individuelle und zielgerichtete Patientenführung. Zudem dient sie der Qualitätssicherung von Behandlungsabläufen innerhalb der zahnärztlichen Praxis. Vielfach bereitet es Probleme, den Patienten verständlich und überzeugend zu informieren. Nur ein gut aufgeklärter und überzeugter Patient, der die Befunde und Konsequenzen versteht und akzeptiert, wird dauerhaft mitarbeiten. Hierzu kann eine Visualisierung der erfassten Befunde sowie des individuellen parodontalen Risikos beitragen (Abb. 6). Dem zahnärztlichen Team steht dabei zur Dokumentation der Befunderhebung eine Vielzahl computergestützter Programme zur Verfügung. Als besonders benutzerfreundlich hat sich das durch die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie zertifizierte Programm „ParoStatus.de“ bewährt. Hiermit können alle erhobenen Befunde und klinischen Parameter systematisch und übersichtlich auf einem computergestützten Befundblatt dokumentiert werden. Das erlaubt jederzeit eine Verlaufs- und Erfolgskontrolle der Parodontitistherapie. Ergänzend können sowohl das individuelle Erkrankungsrisiko als auch eine empfohlene Recallfrequenz und die Einstufung in die neue Klassifikation mit einem Click durchgeführt werden (Abb. 7) (9, 10, 11).
Das „ParoStatus.de“-System liefert für die weitere Aufklärung eine patientengerechte Aufbereitung der erfassten Daten. Dem Patienten kann ein Ausdruck seiner erhobenen Befunde, seines persönlichen Erkrankungsrisikos sowie der individuell abgestimmten Recallfrequenz mit nach Hause gegeben werden. Empfehlungen für den weiteren Behandlungsablauf und die vorgeschlagenen individuellen Recallabstände werden so für den Patienten transparent und nachvollziehbar. Zudem kann der Patient eine abgestimmte Handlungsempfehlung für seine persönliche häusliche Mundhygiene erhalten. Dies kommt einerseits dem Bedürfnis der Patienten nach einer verständlichen Information entgegen, andererseits wird dadurch die zielgerichtete Kommunikation in Beratungsund Behandlungssituationen deutlich erleichtert. Ein so strukturierter Prozess zu einem patientenverständlichen parodontalen Risikomanagement kann als Chance angesehen werden, den Wettlauf gegen die parodontalen Erkrankungen zu gewinnen.
Fazit
Eine vollständige Dokumentation der klinischen Parameter ist wichtig, um die Behandlung zu planen und im Verlauf, durch den Vergleich der Befunde, Entwicklungen zu erkennen und Justierungen vorzunehmen. Dabei kommt der Technik der Sondierung und den erhobenen Parametern eine besondere Bedeutung zu. Um die Vergleichbarkeit zu ermöglichen, sollten die Messungen in der gleichen Systematik, Technik und möglichst auch vom gleichen Behandler (oder kalibrierten Zweit-Behandler) durchgeführt werden. Ein bestmöglicher und angestrebter Langzeiterfolg kann nur auf Grundlage eines individuellen und strikten Behandlungskonzeptes mit regelmäßiger Befunderhebung erzielt werden. Erst auf dieser Basis kann auch dem parodontal erkrankten Patienten ein langfristiger Erhalt seiner Zähne ermöglicht werden.
Sylvia Fresmann / Heike Wilken
Deutsche Gesellschaft für DentalhygienikerInnen e. V.
Literaturverzeichnis
Messunterschiede
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Anamnese
- Chávarry NG, Vettore MV, Sansone C, Sheiham A. The relationship between diabetes mellitus and destructive periodontal disease: a meta-analysis. Oral Health Prev Dent. 2009;7(2):107-27.
- Becker BE, Karp CL, Becker W, Berg LE. Personality differences and stressful life events. Differences between treated periodontal patients with and whiteout maintenance. J Clin Periodontol. 1988;15:49-52.
Befunderhebung
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- Schacher B, Eickholz P. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis. Teil 2 Befunderhebung und Dokumentation Parodontologie. 2005;16:145-50.
- Seemann O. Parodontologie. Stomatologie. 2013;110:35-8.
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Erhaltungstherapie
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