Selbst angerührte Zahnpasten: Ökologisch wertvoll, aber für die Zahnpflege nicht geeignet.

Leserfrage: Medizinprodukte oder selbst Gemischtes für Prophylaxebehandlungen?

Dürfen in der Zahnarztpraxis ausschließlich Medizinprodukte am Patienten zum Einsatz kommen?

Oder dürfen auch verschiedene Materialen – insbesondere aus natürlichen Inhaltsstoffen, wie z. B. Schlämmkreide, Natron, Xylit, ätherische Öle –, die vom Praxispersonal oder von der Zahnärztin bzw. vom Zahnarzt selbst gemischt werden, zur Politur oder auch zur Zahnfleischpflege bei Prophylaxebehandlungen eingesetzt werden?

Diese Frage interessiert mich offensichtlich nicht alleine, denn immer wieder lese und höre ich von Kolleginnen, dass sie Mischungen von Spülungen oder Pasten selbst in der Praxis für die Zahnreinigung anmischen. Ich selbst bin ein Freund von natürlichen Inhaltsstoffen, jedoch müssen m. E. gesetzliche Vorschriften eingehalten werden.

DH Birgit Schlee | Schlee Dentalhygiene
Arndtstr. 23 | 74074 Heilbronn

Antwort von RA Dr. Tim Oehler:

Höchstpersönliche Tätigkeit oder übertragbar

Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage soll das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) sein. Das Gesetz versteht dabei unter „Ausübung der Zahnheilkunde“ die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Damit gehören zur Ausübung der Zahnheilkunde alle Tätigkeiten, die nach allgemeiner Auffassung medizinische Fachkenntnisse voraussetzen und die gesundheitliche Schädigungen verursachen können (Landgericht Stuttgart, Beschluss vom 9.6.2011 – 31 Ns 115 Js 93733/08).

Zur Ausübung der Zahnheilkunde gehören z. B. Polituren, Versiegelung von kariesfreien Fissuren, lokale Fluoridierung. Diese Tätigkeiten können an dafür qualifiziertes Prophylaxe-Personal mit abgeschlossener Ausbildung delegiert werden. Die Delegationsfähigkeit von solchen Tätigkeiten ändert nichts daran, dass es sich um der „Ausübung der Zahnheilkunde“ vorbehaltene Tätigkeiten handelt (OLG Frankfurt, Urteil vom 1.3.2020 – 6 U 264/10).

Ob zahnärztliches Personal Tätigkeiten übernehmen und der Zahnarzt diese Tätigkeiten delegieren darf, hängt damit von der durch die Ausbildung vermittelten Befähigung des Personals ab. Zu den Kompetenzen zahnmedizinischer Prophylaxeassistenten enthält der Leitfaden der Bundeszahnärztekammer < https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/za/leitfaden_prophylaxe.pdf> Ausführungen.

Zu den Maßnahmen zur Prophylaxe werden die lokale Applikation von Fluoridpräparaten zur Kariespräparation, die lokale Applikation von bakterienhemmenden Substanzen und die Versiegelung von kariesfreien Fissuren erwähnt. Es findet sich kein Hinweis auf die Möglichkeit, Materialmischungen selbstständig durch einen Prophylaxeassistenten anfertigen zu lassen.

Man könnte argumentieren, dass sich die Ungefährlichkeit der Anmischung der Materialien aus ihrer „Natürlichkeit“ ergeben würde und daher eine Delegationsfähigkeit möglich wäre. „Natürlichkeit“ bedeutet nicht ungefährlich. Zum Beispiel hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die natürliche Substanz „Cannabis“ unter das Betäubungsmittelrecht zu stellen. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen einer individuellen Anmischung natürlicher Substanzen zu einer Einheit nie von vornherein klar sind. Also ist von einer prinzipiellen Delegationsfähigkeit nicht auszugehen.

Übernahmeverschulden und Aufklärung

Es findet sich in der Leserfrage die weitere aufgeworfene Problemstellung, ob der Zahnarzt selbst eine Anmischung durchführen und diese beim Patienten anwenden soll. In rechtlicher Hinsicht ist diese im Lichte des Arzthaftungsrechts zu beleuchten. Zunächst einmal muss der Zahnarzt sicher sein, diese Zusammenstellung aufgrund seiner theoretischen und praktischen Befähigung vornehmen zu können. Liegt diese Befähigung nicht vor, trifft den Zahnarzt ein Übernahmeverschulden. Es stellt dann ein Übernahmeverschulden dar, wenn die behandelnde Person nicht über die fachliche Kompetenz oder Erfahrung zur Durchführung der Behandlung verfügt. Allein das Übernahmeverschulden kann im Falle nachteiliger Auswirkungen auf den Patienten die Haftung des Zahnarztes begründen.

Neben der Haftung für Anwendungsfehler von diesen natürlichen Zusammenmischungen interessiert die Haftung für eine fehlerhafte Aufklärung. Es soll hier über eine naturheilkundlich ausgerichtete Behandlungsmethode aufgeklärt werden. Naturheilkundlich ist eine Behandlungsmethode, die nicht nach den Regeln der Schulmedizin erfolgt (OLG Zweibrücken, Urteil vom 02. Dezember 2003 – 5 U 23/02). Zur Aufklärung gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.

Schwierigkeiten dürfte dem Zahnarzt bereiten, über Folgen und Risiken ordnungsgemäß aufzuklären, denn empirische Berichte zu den Auswirkungen seiner individuellen Zusammenstellung liegen nicht vor und an die Möglichkeit von Unverträglichkeiten aufgrund von Allergien ist immer zu denken. Zur ordnungsgemäßen Risikoaufklärung gehört genauso die zutreffende Darstellung von Vorteilen – gegebenenfalls im Vergleich zur Schulmedizin. Es ist einsichtig, dass aufgrund individueller Einmischungen von Substanzen dem Zahnarzt keine belastbaren Studien zu den Vorteilen zur Verfügung stehen werden. Eine diesbezügliche Aufklärung ist nicht möglich.

Schlussendlich sei bemerkt, dass Behandlungsfehler (z. B. wegen Übernahmeverschuldens oder Delegationsfehlern) oder Behandlungen ohne gültige Einwilligung (z. B. aufgrund unrichtiger Aufklärung) auch eine Straftat nach den §§ 223 ff. StGB (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit) darstellen können.

Medizinprodukt

In der Leserbriefanfrage deutet sich die Schwierigkeit an, wann juristisch ein Medizinprodukt anzunehmen und das Medizinproduktrecht anzuwenden ist. Das Gesetz über Medizinprodukte ist anzuwenden auf Medizinprodukte und deren Zubehör. Der Begriff Medizinprodukte wird in § 3 MPG (bisherige Fassung) und in Art. 2 Nr. 1 Verordnung über Medizinprodukte (neue Verordnung) bestimmt. Ausgenommen von dem Anwendungsbereich dieser Regelungen zu den Medizinprodukten sind kosmetische Mittel. Zu Zahnbleichmitteln ist entschieden worden, dass es sich um Kosmetika und nicht um Medizinprodukte handelt (Verwaltungsgericht Freiburg, 3 K 14 99/90). Für Zahnpasta ist bereits in einem anderen Beitrag zu dieser Zeitschrift darauf hingewiesen worden, dass das Recht über Medizinprodukte nicht zur Anwendung kommt.

Die vorherigen Ausführungen zeigen rechtliche Aspekte auf, die nahelegen, aus Haftungsgründen vom Zusammenmischen von unterschiedlichen Substanzen Abstand zu nehmen.

Dr. Tim Oehler

Rechtsanwalt | Fachanwalt für Medizinrecht | Strafverteidiger
Klosterstr. 5
49134 Wallenhorst/Rulle bei Osnabrück
Tel.: 0172/5606451
E-Mail: advokatur@gmx.de

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