Die Wissenschaftler sind überzeugt davon, dass diese Entwicklung die individuelle Therapie für Augenerkrankungen beschleunigen wird. Das Forschungsteam unter der Leitung von Botond Roska, Professor an der Universität Basel und Direktor des Instituts für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB), arbeitet seit sechs Jahren an der Züchtung menschlicher Netzhäute. Das nun kultivierte Gewebe wird als Netzhaut-Organoid bezeichnet, da es dieselben Eigenschaften aufweist wie die menschliche Netzhaut – einschließlich der Krankheitsparameter von individuellen Patienten.
Für die Züchtung der Mini-Organe brauchten die Forschenden nur Haut- oder Blutproben der Patienten. Die Zellen aus diesen Proben versetzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst in einen Stammzell-ähnlichen Zustand und züchteten aus diesen Stammzellen anschließend die Netzhaut-Organoide.
Erstmalig Vergleich möglich
„Unsere Netzhaut-Organoide sind so besonders, weil sie wie die menschliche Netzhaut eine Schichtstruktur haben und auf Licht in gleicher Weise reagieren“, erklärt Dr. Cameron Cowan. Er ist Postdoc in der Human Retinal Circuit Gruppe am IOB und einer der Erstautoren der Publikation.
Der detaillierte Vergleich der gezüchteten Netzhaut-Organoide mit Netzhaut von Multi-Organspendern bestätigte die starken Ähnlichkeiten. „Wir konnten zeigen, dass unsere kultivierten Organoide nach 38 Wochen – das entspricht der Dauer einer durchschnittlichen Schwangerschaft beim Menschen – viele derselben Zelltypen aufweisen, wie die Netzhaut eines erwachsenen Menschen“, sagt Prof. Botond Roska. „Wir waren die Ersten, die menschliche Netzhaut von Verstorbenen funktionsfähig und lichtempfindlich erhalten konnten. Das machte die Vergleiche überhaupt erst möglich.“
Maßgeschneiderte Therapie
Der große Wert der Netzhaut-Organoide basiert zudem auf dem Beweis der Forschenden, dass gleiche Defekte in jeweils denselben Zelltypen zu denselben Netzhauterkrankungen in den Organoiden und in menschlicher Netzhaut führen.
„Wir können Netzhaut-Organoide aus Hautbiopsien oder Blut von individuellen Patienten züchten. Damit können wir im Labor Behandlungen entwickeln, die auf diese Patienten maßgeschneidert sind“, betont Dr. Magdalena Renner. Sie ist ebenfalls Erstautorin der Publikation und Leiterin der Human Organoid Platform am IOB.
Die Erkenntnisse beschleunigen die Entwicklung neuer Therapien für Netzhauterkrankungen, die bisher zur Erblindung führen.