Allein der KKH Kaufmännische Krankenkasse ist so im vergangenen Jahr der bislang größte Schaden von 4,7 Millionen Euro entstanden.
Für den traurigen Rekord verantwortlich sind vor allem ambulante Pflegedienste. Sie erschwindelten sich mit knapp 3,4 Millionen Euro den größten Batzen zulasten der Kranken- und Pflegeversicherung der KKH – nämlich etwa 70 Prozent der Gesamtsumme.
Inhalt
Betrüger im Gesundheitssektor erschwindelten 2021 bislang höchste Summe
Hunderte neue Verdachtsfälle, dennoch hohe Dunkelziffer
Von gefälschten Rezepten bis hin zu neuen Corona-Betrugsfeldern
Mangelndes Spezialwissen als Freifahrtschein für Betrüger
Betrug im Gesundheitswesen ist kein Kavaliersdelikt
Die TOP DREI nach Höhe der Schadenssumme 2021 (gerundet))
Die TOP DREI nach Zahl der Tatverdächtigen 2021
Die TOP DREI nach Zahl der Tatverdächtigen 2021
Betrüger im Gesundheitssektor erschwindelten 2021 bislang höchste Summe
Dass dieser immense Schaden überhaupt aufgedeckt werden konnte, sei vor allem auf die Ermittlungserfolge der Staatsanwaltschaft gegen mehrere Pflegedienste im Raum Augsburg zurückzuführen. „Es sind zwar immer nur einige wenige schwarze Schafe, die kriminell agieren. Doch diese bereichern sich an Geldern, die den Versicherten für die Vorsorge und die Behandlung von Krankheiten vorbehalten sind“, betont KKH-Chefermittlerin Dina Michels anlässlich der 9. KKH-Fachtagung „Betrug im Gesundheitswesen“ in Hannover. „Solche Betrüger erschüttern mit ihren Machenschaften das Vertrauen in das komplette Gesundheitssystem und bringen darüber hinaus die ehrlichen Leistungserbringer ihres jeweiligen Berufsstandes in Verruf.“
Hunderte neue Verdachtsfälle, dennoch hohe Dunkelziffer
Häufig kommen derartige Straftaten erst gar nicht ans Licht. Die Dunkelziffer im Gesundheitssektor ist hoch, die Schlupflöcher für Kriminelle zahlreich. Die Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation der KKH erhielt 2021 immerhin bundesweit 352 neue Betrugshinweise. Ganz oben auf der Skala stehen Pflegedienste mit 147 Tatverdächtigen, gefolgt von Krankengymnasten und Physiotherapeuten (50 Tatverdächtige) sowie Ärzten (35 Tatverdächtige). Insgesamt entfiel im vergangenen Jahr fast die Hälfte aller Hinweise auf den Bereich Pflege (46 Prozent). Die Palette reicht von Pflegeheim- und Pflegedienstbetreibern, die zu viel für unqualifiziertes Personal abkassieren, bis hin zu Versicherten, die ihren Pflegegrad manipulieren.
Dina Michels wundert das nicht: Die Pflege sei besonders anfällig für Straftaten. Seit Jahren registriere die KKH in diesem Bereich die meisten Fälle. „Hier wirken sich einerseits die jährlichen Abrechnungsprüfungen durch den Medizinischen Dienst aus. Andererseits scheinen in diesem Leistungsbereich immer mehr Menschen mit hoher krimineller Energie unterwegs zu sein“, bilanziert die KKH-Juristin.
Von gefälschten Rezepten bis hin zu neuen Corona-Betrugsfeldern
Betrogen wird aber nicht nur in der Pflege, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Gesundheitswesens – angefangen von Apotheken und Krankenhäusern bis hin zu Sanitätshäusern und Zahnarztpraxen. Dina Michels: „Hinter jedem Fall von Abrechnungsbetrug steht der Versuch, den eigenen Gewinn illegal zu maximieren – und zwar immer auf Kosten der Versicherten.“ Da werden Höchstsätze für unqualifiziertes Personal abkassiert, Berufsurkunden und Rezepte gefälscht oder Behandlungen und Krankenfahrten abgerechnet, die frei erfunden sind. In einem der spektakulärsten Fälle der Vergangenheit panschte ein Apotheker im großen Stil Krebsmedikamente. Damit bereicherte er sich nicht nur um mehrere Millionen Euro (allein zulasten der KKH um 1,5 Millionen Euro), sondern gefährdete vor allem Menschenleben.
Die Pandemie hat darüber hinaus weitere Betrugsfelder eröffnet. Manipulierte Abrechnungen von Corona-Schnelltests in diversen Berliner Testzentren, unberechtigt vom Staat kassierte Corona-Soforthilfen in Millionenhöhe in Hamburg, gefälschte Impfausweise, die ein Mann in Sachsen an Dritte weiterverkauft haben soll, zählt Dina Michels als Beispiele auf. „Zwar sind in diesen Fällen die Krankenkassen nicht direkt betroffen. Doch natürlich müssen auch diese Delikte so schnell wie möglich aufgedeckt und strafrechtlich verfolgt werden.“
Mangelndes Spezialwissen als Freifahrtschein für Betrüger
Um derartigen Straftaten überhaupt auf die Schliche kommen zu können, sind Krankenkassen vor allem auf Hinweise angewiesen, etwa vom Medizinischen Dienst (MD), anderen Krankenkassen, Medien und der Polizei. Die meisten Tipps bekam die KKH im vergangenen Jahr aus Nordrhein-Westfalen (113). Es folgten mit deutlichem Abstand Bayern (33) und Baden-Württemberg (32). „Doch diese Hinweise allein reichen nicht aus, um die Betrüger dingfest zu machen“, betont Michels. Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen kriminelle Machenschaften im Gesundheitswesen sei ein engmaschiges Netz aus professionellen Ermittlern. „Es darf nicht mehr passieren, dass begründete Verfahren mangels Spezialwissen eingestellt werden. Für die Täter ist das wie ein Freifahrtschein.“ Inzwischen gehen in den meisten Bundesländern landesweit Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften oder eigens geschulte Fachkommissare der Kriminalpolizei Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitssektor intensiv nach. „Dies sollte schnellstmöglich in allen Bundesländern der Fall sein“, fordert Dina Michels.
Betrug im Gesundheitswesen ist kein Kavaliersdelikt
Ein renommierter Experte für Korruptionsstrafsachen ist Oberstaatsanwalt André Schmidt von der Staatsanwaltschaft Braunschweig: „Betrug im Gesundheitswesen ist kein Kavaliersdelikt. In letzter Konsequenz zahlen wir alle drauf, denn die unzulässig entzogenen Gelder müssen durch die Solidargemeinschaft finanziert werden.“ Und nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts steigen die Ausgaben im Gesundheitssektor immer weiter an – allein im Jahre 2021 auf einen Höchstwert von insgesamt 466 Milliarden Euro. „Diese Summe setzt bei einzelnen Leistungserbringern ein hohes Maß an Energie frei, gesetzwidrig Gelder einzustreichen.“
„Deshalb ist es wichtig, dass alle Verantwortlichen bei der Bekämpfung von Straftaten im Gesundheitswesen an einem Strang ziehen“, appelliert Schmidt. „Darüber hinaus ist der Schutz von Hinweisgebern von besonderer Bedeutung, damit die Ehrlichen am Ende nicht die Dummen sind.“
Die TOP DREI nach Höhe der Schadenssumme 2021 (gerundet)
- Ambulante Pflege (3,4 Mio. Euro)
- Ärztliche Leistung (375.000 Euro)
- Fahrkosten (309.000 Euro)
Die TOP DREI nach Zahl der Tatverdächtigen 2021
- Pflegedienste (147)
- Krankengymnasten/Physiotherapeuten (50)
- Ärzte (35)
Die TOP DREI nach Zahl der Anfangsverdachte 2021
- Abrechnung nicht erbrachter Leistungen (123)
- Einsatz unqualifizierten Personals (106)
- Abrechnung ohne Zulassung/Genehmigung/Erlaubnis (32)