Seltene Erkrankungen können schwerwiegend verlaufen und lebensbedrohlich sein. Manche führen zu einer dauerhaften Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Aus Anlass des diesjährigen Tages der Seltenen Erkrankungen (Rare Disease Day) am 28. Februar machte die Initiative proDente e. V. (Köln) darauf aufmerksam, dass sich Anzeichen der Seltenen Erkrankungen in Mund und Gesicht zeigen und regelmäßige Kontrolluntersuchungen in der Zahnarztpraxis die Chance erhöhen, sie frühzeitig zu entdecken.
„In Deutschland leben ungefähr vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. dent. Jochen Jackowski von der Universität Witten/Herdecke. „Oft erleben sie einen Ärztemarathon und Fehldiagnosen, weil die Krankheitsbilder und Symptome in der täglichen Klinik nicht gegenwärtig sind.“ Weltweit sind etwa 7.000 bis 8.000 Seltene Erkrankungen bekannt und in verschiedenen Datenbanken erfasst. Etwa 80 % sind erblich bedingt. Sie sind schon bei Neugeborenen und Säuglingen erkennbar. Andere treten erst im Erwachsenenalter auf. Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil an Patienten mit Seltenen Erkrankungen über das Jahr 2020 hinaus weiter ansteigen wird.
Bei 15 % Symptome in Mundraum und Gesicht
Im Durchschnitt dauert es sieben Jahre, bis eine Seltene Erkrankung erkannt wird. Das kann für die Betroffenen eine lange Zeit sein. Liegt ein Verdacht auf eine Seltene Erkrankung vor, kann der Hausarzt unter Einbezug einer zahnärztlichen Untersuchung und Diagnostik an Fachärzte oder Universitätskliniken mit Zentren für Seltene Erkrankungen überweisen. So können Patienten umfassender untersucht und schwere Krankheitsverläufe eventuell rechtzeitig erkannt werden.
15 % aller Seltenen Erkrankungen äußern sich durch Symptome im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. Daher können regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt auch dazu beitragen, eine Seltene Erkrankung aufzudecken oder vorhandene Symptome einer möglichen Seltenen Erkrankung zuzuordnen. So sind z. B. Zahnanomalien für die Diagnose Seltener Erkrankungen des Nervensystems von Kindern ein entscheidendes Kriterium. Leicht erkennbare Hinweise sind Veränderungen der Zahnform, der Zahnfarbe, des Zahnschmelzes, der Zahnanzahl sowie des Zahndurchbruchs. Zahnveränderungen und frühzeitiger Zahnverlust können aber auch auf eine Störung der Knochenmineralisation, die sogenannte Hypophosphatasie, hindeuten.
Systemische Sklerodermie: Zungenbändchen ist verändert
Eines der frühesten Symptome dieser rheumatischen Autoimmunerkrankung, die zu einer Verhärtung des Bindegewebes führt, ist ein verkürztes und verdicktes Zungenbändchen (Skleroglosson). Zudem kann der Parodontalspalt, also der Raum zwischen dem zahnumgebenden Knochen und der Zahnwurzel, gleichmäßig erweitert sein. Das sogenannte sekundäre Raynaud-Syndrom ist ein weiteres „Frühsymptom“, das bei nahezu allen Sklerodermie-Patienten auftritt. Die vom Rumpf am weitesten entfernten Körperteile, allen voran die Finger, werden durch Kältereize (z. B. niedrige Innen- oder Außentemperaturen) krampfartig weiß oder lila. Die Blutgefäße ziehen sich krankheitsbedingt zusammen und lassen keine Durchblutung mehr zu. Die nachfolgende Wiederdurchblutung kann dann sehr schmerzhaft sein.
Das Problem dieser Raynaud-Attacken besteht darin, dass sich an den Fingern oder Zehen aufgrund der Minderdurchblutung abgestorbenes Gewebe (Nekrose) bilden kann. Das kann sehr schmerzhaft sein und sogar zur Amputation führen. „Alle diese Symptome können der eigentlichen Diagnose zum Teil um Jahre vorauseilen“, verdeutlicht Jackowski. Später kommt es zu einer fortschreitenden Sklerosierung der Haut. Im Bereich des Gesichts sind dadurch Mimik und Mundöffnung eingeschränkt. Letzteres führt zu Schwierigkeiten beim Essen und Trinken sowie bei der Mundhygiene.