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Dreck macht Speck

Innovative Wortschöpfungen und „alternative“ Fortbildungsthemen gehören durchaus zu den „Markenzeichen“ des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums bzw. seines Direktors im Rahmen der Winter- oder Sommer-Akademien. Die Überschrift, unter der Prof. Johannes Einwag (Abb. 1) zum Vorkongress der Sommer-Akademie 2018 einlud „Dreck macht Speck“, erschien dem einen oder anderen Teilnehmer allerdings durchaus grenzwertig und „zu wenig wissenschaftlich“ – zumal es sich um eine Veranstaltung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie und der Deutschen Gesellschaft für Dentalhygiene handelte. Dennoch: Sie traf genau den Kern des Problems!

Wie Prof. James Deschner (Abb. 1), Direktor der Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung, Universität Mainz, ausführte, nehmen Übergewicht und Adipositas weltweit zu und stellen Risikofaktoren für zahlreiche Erkrankungen des Organismus dar (z. B. Typ-2- Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Karzinome).
Eine Vielzahl von Studien belegt, dass Übergewicht und Adipositas auch mit Parodontitis und Zahnverlust assoziiert sind. Einige Studien haben auch gezeigt, dass Adipositas auch die parodontale Heilung nach einer Parodontitis-Therapie negativ beeinflussen könnte.
Tierexperimentelle und longitudinale Studien legen nahe, dass es sich um einen kausalen Zusammenhang handelt! Adipositas könnte das Risiko für die Entstehung und Progression von Parodontitis über verschiedene Mechanismen erhöhen (z. B. Beeinträchtigung der Immunabwehr, systemische Entzündung, Insulinresistenz, Hormone und Xerostomie). Andererseits könnte aber auch eine Parodontitis zu Übergewicht und Adipositas beitragen. Des Weiteren gibt es viele Risikofaktoren, die sowohl Adipositas als auch Parodontitis fördern (z. B. genetische Disposition, sozioökonomischer Status, Alter und Ernährung). Übergewichtige und adipöse Patienten sollten über den Zusammenhang zwischen Parodontitis und Adipositas aufgeklärt werden. Der Body-Mass-Index, das Taille-Hüft-Verhältnis oder der Taillenumfang sollten in die Risiko- und Prognosebeurteilung einfließen. Pharmakokinetische und -dynamische Eigenschaften von Antibiotika können bei Adipositas verändert sein. Schließlich ist auch an das erhöhte Risiko für postoperative Infektionen bei adipösen Patienten zu denken.

Ähnliche Zusammenhänge bestehen auch zwischen Parodontitis und Diabetes!
Zwischen beiden Erkrankungen besteht eine sich gegenseitig beeinflussende Wechselbeziehung. Der Diabetes begünstigt die Entstehung, die Progression und den Schweregrad einer Parodontitis, es besteht ein bis zu dreifach erhöhtes Risiko für eine Parodontitis als Folgeerkrankung oder diabetische Komplikation. Die Parodontitis erschwert die glykämische Kontrolle des Diabetes, erhöht das Risiko Diabetes-assoziierter Komplikationen und möglicherweise sogar für dessen Entstehung.
Angesichts der vorliegenden Evidenz, die gerade in der Ärzteschaft noch nicht hinreichend kommuniziert worden ist, wurden im Vortrag die folgenden Fragen behandelt:
1. Welchen Einfluss hat Diabetes mellitus auf Parodontitis und parodontale Therapie?
2. Welchen Einfluss hat Parodontitis und parodontale Therapie auf Diabetes mellitus und die glykämische Kontrolle?
3. Was sind die praktischen Konsequenzen, die sich daraus für interdisziplinäre Behandlungsstrategien ableiten?

Für PD Dr. Erhard Siegel (Abb. 1), Chefarzt Innere Medizin-Abteilung für Gastroenterologie, Diabetologie/ Endokrinologie und Ernährungsmedizin, St. Josefs-Krankenhaus Heidelberg ergibt sich auf diese Fragen eine klare Antwort: „Die Behandlung parodontaler Infektionen/Entzündungen sollte integraler Bestandteil des Diabetesmanagements werden, wohingegen die Sicherstellung einer adäquaten glykämischen Einstellung wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Parodontaltherapie ist“.

Prof. Dr. Matthias Laudes (Abb. 1), Leiter des Bereiches Klinische Ernährungs- und Stoffwechselmedizin am Unversitätsklinikum Kiel, untermauerte die Ausführungen seiner Vorgänger mit aktuellen Forschungsergebnissen zum Thema Ernährung und Entzündung: Ernährungsassoziierte Erkrankungen wie Übergewicht und Adipositas sind mit chronischen Entzündungsreaktionen verbunden. Diese Entzündungen sind an der Entstehung von typischen Folgeerkrankungen, wie Typ 2 Diabetes und Fettstoffwechselstörungen, aber auch von Parodontitis wesentlich beteiligt. „Unsere Arbeitsgruppe hat unter anderem beschrieben, dass Makrophagen über das wnt5a/sFRP5 System sowohl im Fettgewebe als auch in der Mundhöhle chronische Entzündungen unterhalten. Aktuell versuchen wir über spezifische Veränderungen des Darmmikrobioms die systemische Entzündung günstig zu beeinflussen. Unsere Arbeitsgruppe verfolgt dabei einen ‚translationalen Ansatz‘. Das bedeutet, dass wir nur Humanstudien oder zell- und molekularbiologische Arbeiten an humanen Gewebeproben durchführen, jedoch keine tierexperimentelle Untersuchungseinheit vorhalten“.
Diese Erkenntnisse wurden mit zahnmedizinischen Themen in Bezug gesetzt – es ergaben sich Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Modifikation aktueller Behandlungsstrategien und neue Ansätze für künftige Therapiekonzepte.

Entsprechende Konsequenzen sieht auch Prof. Dr. Christof Dörfer (Abb. 1), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie, aus der Sicht des Zahnarztes: „Parodontitis ist eine chronische Entzündung, die unter Alltagsbedingungen nicht nur aufgrund der ständig aktivierten Abwehr, sondern auch durch regelhafte Bakteriämien z. B. durch das Kauen den Gesamtorganismus belastet. Obwohl der Zusammenhang zwischen Parodontitis und einer Vielzahl anderer chronischer Erkrankungen unstrittig ist und über viele Pathomechanismen auch plausibel nachvollzogen werden kann, ist es derzeit schwierig, den Nachweis eines Nutzens der Parodontitistherapie auf andere Erkrankungen zu erbringen. Dies liegt vor allem an der Komplexität der Interaktionen und der Einflussfaktoren sowohl für Parodontitis als auch die damit verbundenen anderen Erkrankungen“.

Für einige dieser Erkrankungen, in erster Linie Diabetes mellitus, sei ein positiver Effekt der Parodontitistherapie auf den Stoffwechsel nachgewiesen; es gäbe allerdings eine hohe interindividuelle Variabilität in den Auswirkungen der Parodontitistherapie auf Parameter, die die Allgemeingesundheit beschreiben wie z. B. den Blutzuckerspiegel. Vorhersagen über die Auswirkungen der Parodontitistherapie auf die Allgemeingesundheit könnten daher derzeit im Einzelfall nicht getroffen werden!
Allerdings reduziere die erfolgreiche Parodontitistherapie die Entzündungslast des Körpers, sodass daraus in jedem Fall ein Gesundheitsnutzen für den Patienten resultiere.

Insofern gilt:
Parodontitistherapie macht gesund, da es die Entzündungslast des Körpers reduziert. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass damit alle anderen Gesundheitsprobleme beseitigt wären“.

Ein volles Auditorium (Abb. 2) mit nahezu 800 Zuhörern allein an diesem Vorkongress zeigte die Attraktivität des Themas. Es ist davon auszugehen, dass die Verbindung von medizinischen und zahnmedizinischen Inhalten in Zukunft einen immer höheren Stellenwert im Rahmen des zahnmedizinischen Fortbildungsangebotes erhalten wird! Und eine attraktive „Überschrift“ hat noch nie geschadet …

Prof. Dr. Johannes Einwag

Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungs

Zentrum Stuttgart (ZFZ Stuttgart)
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